Entscheidend für die Frage, welches Jugendamt für die Betreuung des Pflegeverhältnisses zuständig ist, ist die sog. örtliche Zuständigkeit. Diese ist in der recht komplizierten Vorschrift des § 86 SGB VIII geregelt. Örtlich zuständig ist zunächst regelmäßig das Jugendamt, in dessen Bereich die leiblichen Eltern ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Ziehen leibliche Eltern in den Bereich eines anderen Jugendamtes, so führt dies regelmäßig dazu, dass auch ein anderes Jugendamt für das Pflegeverhältnis zuständig wird. Daneben gibt es Sonderregelungen, wenn das Sorgerecht (teilweise) entzogen wurde. Wie die meisten Pflegeeltern jedoch wissen, ändert sich dies nach zwei Jahren Pflegedauer. Dann wird das Jugendamt zuständig, in dessen Bereich die Pflegeeltern leben. Geregelt ist dies in § 86 Abs. 6 SGB VIII. Die Vorschrift lautet:
„Lebt ein Kind oder ein Jugendlicher zwei Jahre bei einer Pflegeperson und sein Verbleib bei dieser Pflegeperson auf Dauer zu erwarten, so ist oder wird abweichend von den Absätzen 1-5 der örtliche Träge zuständig, in dessen Bereich die Pflegeperson ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.“
Der Wechsel der örtlichen Zuständigkeit kann Vor- und Nachteile haben. Dass nach zwei Jahren, unabhängig vom Aufenthaltsort der leiblichen El-tern, das Jugendamt am Wohnort der Pflegeeltern zuständig wird und bleibt, ist zunächst sicherlich als Anerkennung der faktischen Eltern-Kind-Bindung zwischen Pflegekind und Pflegeeltern zu sehen. Der Standard-Kommentar Wiesner (SGB VIII, § 86 Rdnr. 33) führt hierzu aus:
„Die Vorschrift trägt der psychosozialen Realität Rech-nung, dass ein Kind oder ein Jugendlicher, das bzw. der längere Zeit mit anderen Personen zusammen lebt, die sich ihm liebevoll zuwenden, ein neues schützeswertes Eltern-Kind-Verhältnis begründen kann“.
Mögliches Problem: Fortbestand bisheriger Vereinbarungen
Die größere Ortsnähe für die Pflegeeltern und die Kenntnis der
infrastruk-turellen Gegebenheiten wird häufig als Vorteil angesehen. Auf
der anderen Seite darf nicht übersehen werden, dass der Wechsel der
Zuständigkeit nach zwei Jahren regelmäßig auch einen Bruch der
Kontinuität in der Betreuung des Pflegeverhältnisses mit sich bringt,
immer wieder auch durchaus neue Ansätze für die Bearbeitung des
Pflegeverhältnisses. Je nach Sachbearbeiter kann der Wechsel dazu
führen, dass das neue Jugendamt gänzlich andere Ansätze vertritt und
verfolgt, etwa bei der Häufigkeit der Umgangsgestaltung oder ähnliches.
Wie so häufig steht und fällt dies mit der jeweiligen Qualität des
übernehmenden Jugendamtes bzw. Sacharbeiters. Besonders problematisch
kann der Wechsel dann werden, wenn beim zuerst zuständigen Jugendamt ein
freier Träger eingeschaltet wurde, welcher die Pflegeeltern qualitativ
hochwertig betreut und begleitet. Es kommt hier nicht selten dazu, dass
das nach zwei Jahren zuständige Jugendamt eine weitere Zusammenarbeit
mit diesem freien Träger – in der Regel aus Kostengründen – nicht
fortsetzen will. Als Beispiel sei genannt, dass das neu zuständige
Jugendamt etwa keine Sonderpflegestellen („Westfälische Pflegefamilie“)
anerkennt oder grundsätzlich nicht mit freien Trägern wie der Diakonie
oä zusammenarbeitet und diese Vereinbarungen nicht übernehmen will. Nach
der Rechtsprechung ist dabei leider auch das neu übernehmende Jugendamt
nicht gezwungen, bestehende Verträge einfach zu übernehmen. Nach einem
Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.12.2004 (Aktenzeichen.: 5
B 80/04) kann nämlich „der Wechsel der Zuständigkeit nicht als Eintritt
in ein fremdes Rechtsverhältnis nach Art einer Vertragsübernahme
bewertet werden (…), sondern (es wird) die Begründung einer eigenen
Wahrnehmungskompetenz bewirkt und der nunmehr zuständige örtliche Träger
hat mit Wirkung für die Zukunft den Jugendhilfefall in eigener
Verantwortung zu regeln“.
Die Möglichkeit des Wegfalls einer bewährten und qualitativ hochwertigen Beratung und Betreuung der Pflegeeltern aufgrund des Wechsels, insbesondere bei Betreuung durch einen freien Träger, wird von Pflegeeltern vielfach als erheblicher Nachteil erlebt. Nach der derzeitigen Rechtslage ist aber häufig schwierig, bei einem Wechsel die Beibehaltung der Betreuung durchzusetzen. Sind Pflegeeltern gleichzeitig auch Personensorgeberechtigte, wäre ein denkbarer Weg, sich hier auf das Wunsch- und Wahlrecht bei Beratung und Betreuung zu berufen, § 5 SGB VIII i.V. § 37 II SGB VIII. Ansonsten muss bezüglich dieses Nachteiles festgehalten werden, dass eine Neuregelung des Gesetzgebers zur Sicherung der Konstanz und der qualitativen Standards bei Beratung und Begleitung eines Pflegeverhältnisses geboten wäre. Denn derzeit können Pflegeeltern beim Wechsel der örtlichen Zuständigkeit nicht auf den Fortbestand der vertraglichen Ver-einbarung mit dem bisher zuständigen örtlichen Jugendamt vertrauen.
Voraussetzungen des Wechsels
Von derlei Problemen abgesehen, wird der Wechsel an das „heimische“
Jugendamt aber von Pflegeeltern oftmals als bereichernd angesehen. Nicht
selten stellt sich sogar die Problematik, dass das zuständige Jugendamt
nach zwei Jahren die Zuständigkeit nicht abgeben möchte. Die Frage,
wann denn genau der Fall abgegeben werden muss, ist aber inzwischen
höchstrichterlich eindeutig geklärt. Insbesondere ist geklärt, dass die
Zuständigkeit kraft Gesetzes automatisch eintritt und nicht etwa erst
eine Übernahmeentscheidung des alten Jugendamtes voraussetzt. Der BGH
hat etwa im Urteil vom 23.07.03 (NJW 03, 3419 ff.) hierzu ausgeführt:
„Nach dem Wortlaut des § 86 VI SGB VIII tritt ein
Zuständigkeitswechsel kraft Gesetzes ein (mwN) und bedarf daher keiner
zuständigkeitsbegründenden Erklärung des übernehmenden Trägers der
Jugendhilfe.(…). Zum Zeitablauf von zwei Jahren hinzukommen muss die
Prognose für den künftigen Verbleib des Kindes oder Jugendlichen auf
Dauer bei dieser Pflegeperson. Wann dies der Fall ist und wer diese
Prognose anzustellen hat, wird in § 86 VI SGB VIII selbst nicht
definiert. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der
Auslegung bedarf. Dabei ist es zu weitgehend, wenn der Begriff „auf
Dauer zu erwarten“ so ausgelegt wird, dass die Rückkehr in die
Herkunftsfamilie für alle Zeiten ausgeschlossen ist. Vielmehr ist es
ausreichend, wenn prognostiziert wird, dass eine Rückkehr bis auf
weiteres nicht zu erwarten ist und die Pflegeperson bereit und in der
Lage ist, das Kind oder den Jugendlichen auf Dauer, d.h. mindestens bis
zur Vollendung des 18. Lebensjahres zu betreuen (…). Grundlage für die
Prognose sind daher die im Rahmen des Hilfe-plans bzw. auf seiner
Fortschreibung getroffenen Feststellungen (mwN). Wenn nach einem
zweijährigen Aufenthalt bei der Pflegeperson nach dem aktuellen
Hilfeplan der noch bemessene Zeitraum des Verbleibs nicht auf wenige
Monate begrenzt ist und konkret keine Rückkehr in die Herkunftsfamilie
zu erwarten oder geplant ist, ist ein Zuständigkeitswechsel auf das
Jugendamt des gewöhnlichen Aufenthaltsortes der Pflegeperson im
Interesse einer ortsnahen Planung und Betreuung bei der Erziehungshilfe
geboten (mwN). Folglich wird das Jugendamt am neuen gewöhnlichen
Aufenthaltsort des Kindes oder Jugendlichen in aller Regel an die
Einschätzungen des bisher zuständigen Jugendamtes gebunden sein (mwN). „
Der BGH führt in der zitierten Entscheidung sogar aus, dass ein Träger
der Jugendhilfe seine gegenüber dem Kind bestehenden Amtspflichten
verletzt, wenn er trotz des aus Gründen der Ortsnähe eingetretenen
Zuständigkeitswechsels gem. § 86 VI SGB VIII rechtswidrig die Übernahme
der Hilfeleistung ablehnt. Der BGH hat seine deutliche Rechtsauffassung
etwa im Urteil vom 21.10.04 (FamRZ 05, 83 f.) wiederholt.
Sollte also ein Jugendamt entgegen des Wunsches von Pflegeeltern seine Zuständigkeit nach zwei Jahren nicht abgeben wollen, so bestehen hier regelmäßig gute Aussichten, dies auf der Grundlage der oben zitierten Rechtsprechung durchzusetzen.
Quelle: RA Steffen Siefert