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Stärkung der Rechte der Pflegeeltern in Gerichtsverfahren

Stärkung der Rechte der Pflegeeltern in Gerichtsverfahren

Zum 01.09.2009 trat das „Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit“ (FamFG) in Kraft. Das gerichtliche Verfahren in Familiensachen wurde mit diesem Gesetz vollkommen neu geregelt.

Für Pflegeeltern besonders bedeutsam und erfreulich ist, dass ihre Rechte gestärkt wurden. Das betrifft sowohl die nun bei längeren Pflegeverhältnissen vorgeschriebene Anhörung von Pflegeeltern als auch deren aktive Beteiligung am Verfahren.

Bereits bisher und natürlich auch zukünftig galten Pflegeeltern ohne weiteres in Verbleibensverfahren als Beteiligte. Da Pflegeeltern nach § 1632 IV BGB beim Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen einen Verbleibensantrag stellen können, galten sie in derartigen Verfahren schon bisher als antragsbefugt und als Beteiligte. Dies hat sich auch nach der neuen Gesetzeslage nicht geändert. Nach § 7 I FamFG ist in Antragsverfahren der Antragsteller Beteiligter. Dies ist insofern von Bedeutung, als „Beteiligte“ eines Verfahrens eine besondere Rechtsstellung haben. Sie können Anträge stellen, erhalten Akteneinsicht, sie erhalten Abschriften der Schriftsätze der übrigen Verfahrensbeteiligten, werden zur mündlichen Verhandlung geladen, kommen dort zu Wort, sie erhalten ein etwaiges Sachver-ständigengutachten usw. Sie werden also tatsächlich umfassend „beteiligt“ und können Einfluss nehmen.

In anderen Verfahrenskonstellationen war jedoch die Beteiligungsfähigkeit der Pflegeeltern bislang teilweise schwierig. Nach einer Rechtsprechung des BGH (FamRZ 2000, 219 ff.) galten Pflegeeltern in reinen Sorgerechtsverfahren nicht als Beteiligte. Dies betraf insbesondere die Fallkonstellationen, dass Kindeseltern bereits das Sorgerecht entzogen war und diese auf Rückübertragung des Sorgerechtes, meistens vom Jugendamt als Amtsvormund, klagten. Obwohl in diesen Verfahren häufig Gegenstand war, ob das Pflegekind aus der Pflegefamilie herausgenommen werden kann, ließen viele Gerichte eine Beteiligung der Pflegeeltern nicht zu. Lediglich eine Anhörungsmöglichkeit war nach der früheren Rechtslage vorgesehen, § 50 c FGG. Hierbei hatte das Gericht aber einen gewissen Er-messensspielraum, ob es die Pflegeeltern anhört. Außerdem ist ein bloßes Anhörungsrecht weit weniger stark als ein Beteiligungsrecht.

Hier hat der Gesetzgeber nun die Rechte der Pflegeeltern im gerichtlichen Verfahren deutlich gestärkt. Nach § 161 Abs. 1 FamFG können Pflegeeltern nun zu diesen Verfahren als Beteiligte hinzugezogen werden, wenn dies im Interesse des Kindes liegt. Sie erhalten dann die erwähnten umfassenden Beteiligungsrechte. Eine Anhörung der Pflegeeltern muss nun erfolgen, jedenfalls sobald eine „längere Familienpflege“ vorliegt, § 161 Abs. 2 FamFG. Entgegen der früheren Rechtslage hat das Gericht hier keinen Ermessensspielraum mehr.

Damit können Pflegeeltern nun deutlich besser Informationen über den Stand des Verfahrens erhalten und hierauf Einfluss nehmen.

Die neu eingeführte Vorschrift des FamFG lautet:

§ 161 Mitwirkung der Pflegeperson
(1) Das Gericht kann in Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, die Pflegeperson im Interesse des Kindes als Beteiligte hinzuziehen, wenn das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege lebt. Satz 1 gilt entsprechend, wenn das Kind aufgrund einer Entscheidung nach § 1682 des Bürger-lichen Gesetzbuchs bei dem dort genannten Ehegatten, Lebenspartner oder Umgangsberechtigten lebt.

(2) Die in Abs. 1 genannten Personen sind anzuhören, wenn das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege lebt.

Insbesondere bei länger andauernden Pflegeverhältnissen wird es dem-nach im Interesse des Kindes liegen, die Pflegeeltern auch formell am Verfahren zu beteiligen und ihnen die mit der Beteiligung verbundenen Rechte und Pflichten zuzugestehen. Jedenfalls an einer Anhörung der Pflegeeltern kommt das Gericht nicht mehr vorbei.

Zwar ist die Beteiligungsvorschrift § 161 Abs. 1 FamFG als „Kann-Vorschrift“ ausgestaltet, das Gericht hat hier also – im Gegensatz zur Anhörungsvorschrift – ein entsprechendes Ermessen. Man wird jedoch davon ausgehen müssen, dass dieses Ermessen insbesondere durch die Interessen des Kindes begrenzt ist. Wenn die Hinzuziehung der Pflegeeltern dem Kindeswohl dient, wovon man insbesondere bei längeren Pflegeverhältnis-sen ausgehen muss, dann dürfte das Gericht hier verpflichtet sein, die Pflegeeltern zu beteiligen. Dies gilt umso mehr, als aus der Begründung des Gesetzgebers folgt, dass Ziel des § 161 FamFG eine Verbesserung der Rechtsstellung der Pflegeeltern ist (so auch Koritz, Das neue FamFG, 2009, Rdnr.43 f.).

Denn die Begründung des Gesetzgebers führt ausdrücklich aus (vgl. BT-Drucks. 16/6308, 241):

„Zu § 161 (Mitwirkung der Pflegeperson)

Abs. 1 sieht vor, dass der im bisherigen § 50 c FGG genannte Personenkreis nach § 7 Abs. 3 von Amts wegen hinzugezogen werden kann, wenn dies im Interesse des Kindes liegt. Durch diese Regelung soll die Stellung der Pflegeperson im gerichtlichen Verfahren verbessert werden.

Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH FamRZ 2000, 219 ff. zu den Pflegeeltern) ist eine Pflegeperson nach geltendem Recht in Verfahren, welche die elterliche Sorge für ein Pflegekind betreffen, mangels unmittelbaren Eingriffs gegen ein subjektives Recht und mangels entsprechender Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens grundsätzlich weder materiell noch formell verfahrensbeteiligt. Ausnahmen bestehen nur in den Verfahren nach § 1630 Abs. 3, § 1632 Abs. 4, § 1688 Abs. 3 und 4 BGB (vgl. zu Umgangssachen BGH FamRZ 2005, 975 ff.). Dies hat zur Folge, dass sich die Beteiligung der Pfle-geperson am Verfahren regelmäßig in der Anhörung erschöpft.

Bei länger andauernden Pflegeverhältnissen kann es im Interesse des Kindes liegen, die Pflegeperson formell am Verfahren zu beteiligen und ihr die mit der Beteiligung verbundenen Rechte und Pflichten aufzuerlegen. Die formelle Beteiligung stellt sicher, dass die Pflegeperson über den Fortgang des Verfahrens und über die Beweisergebnisse informiert wird und aktiv auf den Verlauf des Verfahrens Einfluss nehmen kann. Zugleich kann sie – z.B. bei der Regelung des Umgangs mit einem Kind – unmittelbar in die Entscheidung des Gerichts miteinbezogen werden. Das Ermessen des Gerichts bei der Entscheidung über die Hinzuziehung wird durch das Interesse des Kindes begrenzt. Ein entsprechendes Interesse liegt vor, wenn eine Hinzuziehung dem Kindeswohl dienen kann.

Anders als bei der Mitwirkung des Jugendamtes nach § 162 Abs. 3 Satz 2 sieht § 161 für die Pflegeperson keine verfahrensrechtliche Beschwerdebefugnis vor. Die Rechtsmittelbefugnis richtet sich – wie im geltenden Recht – allein nach einer Beschwer der Pflegeperson.

Abs. 2 entspricht inhaltlich dem bisherigen § 50 c Satz 1 FGG mit der Maßgabe, dass ein Absehen von der Anhörung der Pflegeperson nicht mehr möglich ist. Der Begriff der „längeren Zeit“ entspricht der Formulierung im § 1630 Abs. 3, § 1632 Abs. 4 BGB“.

Das Gericht wird über die Beteiligung der Pflegeeltern durch Beschluss entscheiden. Dies kann entweder von Amts wegen oder auf Antrag anderer Personen, auch der Pflegeeltern, geschehen. Falls das Familiengericht hier entscheiden sollte, die Pflegeeltern nicht hinzuzuziehen, so kann diese Entscheidung mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden, vgl. § 7 V FamFG. Hierbei ist eine Frist von 2 Wochen einzuhalten.

Quelle: RA Steffen Siefert

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Keine Herausnahme bei Traumatisierungsgefahren

In rechtlicher Hinsicht können Traumatisierungen, die Pflegekinder erlitten haben bzw. die zu befürchten sind, erhebliche Bedeutung haben, auch und gerade bei Herausnahmestreitigkeiten. Insbesondere sind Traumatisierungen geeignet, den unbestimmten Rechtsbegriff „Kindeswohl“ mit Inhalt zu füllen und dadurch einen Rechtsstreit letztlich zu entscheiden. Denn regelmäßig müssen Gerichte in allen Verfahren, welche (Pflege-)Kinder betreffen, diejenige Entscheidung fällen, welche dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Dieses sogenannte Kindeswohlprinzip hat der Gesetzgeber inzwischen in § 1697 a) BGB gesetzlich fixiert.

Bereits eingetretene Traumatisierungen können beispielsweise bei Streitigkeiten über den weiteren Verbleib eines Pflegekindes in seiner Pflegefamilie bei einem Herausnahmewunsch der leiblichen Eltern eine ganz entscheidende Rolle spielen. Häufig laufen diese Streitigkeiten nach einem vergleichbaren Muster ab. Zunächst wird meist auf Initiative des Jugendamtes ein Kind zur Vollzeitpflege in eine Pflegefamilie gegeben, da die leiblichen Eltern verschuldet oder unverschuldet nicht in der Lage sind, es angemessen zu pflegen und zu erziehen. In diesem Zusammenhang gibt es naturgemäß ein sehr weites Spektrum, von bloßer Überforderung der leiblichen Eltern bis hin zur Vernachlässigung und Mißhandlung eines Kindes. In seiner Pflegefamilie beginnt das Kind sodann Bindungen zu entwickeln und sich mit den Pflegeeltern (neue) psychologische Eltern zu suchen. Häufig begehren dann die leiblichen Eltern nach einiger Zeit, dass das Kind aus der Pflegefamilie herausgenommen wird und wieder bei ihnen lebt oder gar bei anderen Pflegeeltern aufwachsen soll.

Kinderpsychologisch hat die in einem Herausgabestreit zu treffende Entscheidung erhebliche Bedeutung für das weitere und gesunde Aufwachsen des Pflegekindes. Denn hat sich das Kind bereits eng an die Pflegeeltern gebunden und sieht diese als seine psychologischen Eltern an, so kann ein Abbruch dieser Bindungen bei einer Herausnahme dem Kindeswohl erheblichen Schaden zufügen.

Aus diesem Grunde können Pflegeeltern nach § 1632 IV. BGB einen sogenannten Verbleibensantrag beim Familiengericht stellen. Dann muß das Familiengericht prüfen, ob das Kindeswohl des Pflegekindes durch die Wegnahme von seinen Pflegeeltern gefährdet würde. Ist dies der Fall, so wird das Familiengericht anordnen, dass das Pflegekind in seiner Pflegefamilie verbleibt.

Juristisch gesehen muß das Familiengericht dabei seine Entscheidung auf der Grundlage des Kindeswohles treffen. Denn hier kollidieren die verfassungsrechtlichen Grundrechte der leiblichen Eltern aus Art. 6 II GG mit den ebenfalls verfassungsrechtlich anerkannten Grundrechtspositionen der Pflegeeltern (vgl. insoweit BVerfGE 68, 176, 188 m.w.N.). Zwar kommt bei einer solchen Interessenkollision grundsätzlich den Grundrechten der leiblichen Eltern ein Vorrang gegenüber den Grundrechten der Pflegeeltern zu. Allerdings muß – so das Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) bei einer Interessenkollision zu dem Kind und seinen Eltern sowie den Pflegeeltern das Kindeswohl letztlich bestimmend sein.

Das Bundesverfassungsgericht stellt dabei verschieden hohe Voraussetzungen auf, je nach dem, ob die leiblichen Eltern die Herausgabe des Kindes in ihre Familie wünschen oder ob ein bloßer Pflegestellenwechsel gefordert ist.

Begehren die leiblichen Eltern die Herausgabe des Kindes, so muß das Familiengericht eine Verbleibensanordnung erlassen, wenn eine schwere und nachhaltige Schädigung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens des Kindes bei seiner Herausgabe zu erwarten ist (BVerfGE 68, 176, 190). Geht es hingegen um einen bloßen Pflegestellenwechsel, so ist einem Herausgabeverlangen nur dann stattzugeben, wenn mit hinreichender Sicherheit auszuschließen ist, dass die Trennung des Kindes von seinen Pflegeeltern mit psychischen oder physischen Schädigungen verbunden sein kann (E 75, 201, 220).

Bei seiner Prüfung ist das Gericht dabei wieder dem Kindeswohlprinzip verpflichtet, d.h., es muß abwägen, welche Entscheidung dem Wohle des Kindes am besten entspricht. Im übrigen entspricht dies auch ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. Dieses betont immer wieder, dass das Elternrecht als pflichtengebundenes Recht nur im Interesse des Kindes ausgeübt werden darf. Im Konflikt zwischen Elternrecht und Kindeswohl – so das Bundesverfassungsgericht (E 24, 150) ist stets das Kindeswohl vorrangig.

Schwierig bei der Rechtsauslegung und der Anwendung der beschriebenen verfassungsrechtlichen Grundsätze ist dabei natürlich, dass es sich bei dem Begriff „Kindeswohl“ um einen sogenannten „unbestimmten Rechtsbegriff“ handelt, also keinem starr juristisch definiertem Begriff. Dieser muß erst mit Inhalt angefüllt werden, wobei natürlich die Gefahr besteht, dass dieser Begriff je nach persönlicher Interessenlage ausgefüllt wird. Bis zu einem gewissen Grade ist dieser Begriff jedoch durchaus objektivierbar. Um zu vermeiden, dass sich Entscheidungen auf einen bloßen „gesunden Menschenverstand“ stützen, ist es wichtig, diese an wissenschaftlich gesicherten Kriterien auszurichten. Denn Verhaltensbiologie, Neurobiologie, Kinderpsychiatrie und Medizin, Sozialwissenschaft und Rechtsprechung sind sich inzwischen weitgehend einig über die entscheidenden Kriterien zur Bestimmung des Kindeswohles. Diese Kriterien sind:

– Bindungen des Kindes
– Wille des Kindes
– Betreuungs- und Erziehungskontinuität
– Förderungsmöglichkeiten der betreuenden Person
– weitgehende Befreiung von Angst, Belastung und Konflikten

(Vgl. Marquardt/Lossen, sexuell missbrauchte Kinder im Gerichtsverfahren, S.99)

Natürlich unterfällt auch die möglichst weitgehende Freiheit von Traumatisierungen unter den Begriff des Kindeswohles. Denn jedes Kind hat ein Grundrecht auf ein möglichst unbelastetes und gesundes Aufwachsen. Das Familiengericht muß daher – etwa im obigen Beispiel über die Frage des Verbleibes – diejenige Entscheidung wählen, bei welcher das Kind keine Traumatisierung erfährt, etwa durch einen abrupten Abbruch seiner Bindungen bei einer Rückkehr in seine leibliche Familie. Da den Gerichten regelmäßig die eigene Sachkunde fehlt, diese bedeutende kinderpsychologische Feststellung zu treffen, muß das Gericht grundsätzlich vor seiner Entscheidung ein kinderpsychologisches Sachverständigengutachten einholen. Dieses hat sodann festzustellen, welche Entscheidung für das Kindeswohl die beste ist und also auch, bei welcher Entscheidung die Traumatisierungsgefahr am geringsten ist.

Bereits festgestellte oder jedenfalls zu befürchtende Traumatisierungen können daher etwa in einem Rechtsstreit über das Verbleiben eines Pflegekindes von ausschlaggebender Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreites sein.

In dem bislang unveröffentlichten Beschluß des AG Jülich vom 16.07.2002 (10 F 328 / 01)hat das Familiengericht den Antrag eines Vaters auf Herausgabe eines Kindes aus seiner Pflegefamilie zurückgewiesen und dabei ganz entscheidend auf die sonst zu erwartenden Traumata hingewiesen.

Das Pflegekind wurde bereits 14 Tage nach seiner Geburt bei (deutschen) Pflegeeltern untergebracht, nachdem seine (türkischen) leiblichen Eltern nicht in der Lage waren, für sie zu sorgen. In seiner Pflegefamilie lebte das Kind H. über 5 Jahre, als der Vater die Herausgabe verlangte. Wörtlich führt das Gericht aus:

„Ein Wechsel des Kindes in die Familie des Vaters kommt nicht in Betracht. H. ist ein Risikokind. Die Mutter und ihr Halbbruder leiden an einer erblichen geistigen Erkrankung, die auch bei H. ausbrechen könnte. Deswegen bedarf sie einer besonderen Förderung, die ihr in der Pflegefamilie zuteil wird.

Die notwendigen festen stabilen Strukturen werden ihr dort geboten. H. erlebt ihre Pflegeeltern als Eltern, weiß aber, dass sie türkische leibliche Eltern hat. Sie ist voll in die Pflegefamilie integriert und kann sich nicht vorstellen, zum Vater zu wechseln, der ihr nicht nur dadurch fremd ist, dass eine sprachliche Verständigung mangels Sprachkenntnissen äußerst schwierig ist. In den 5 ½ Jahren Aufenthalt bei den Pflegeeltern sind die Bindungen so stark geworden, dass deren Zerreißen bei H. zum schweren Trauma führen kann.“

Diese Rechtsprechung steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
So hat etwa das BVerfG in einer Grundsatzentscheidung vom 22. 08. 2000 (1 BvR 2006/98; FamRZ 2000, 1489 f.) entschieden:

„Es ist daher aus verfassungsrechtlicher Sicht geboten, bei einer Entscheidung nach §§ 1666, 1666 a) BGB die Tragweite einer Trennung des Kindes von seiner Pflegefamilie – unter Berücksichtigung der Intensität entstandener Bindungen – einzubeziehen und die Erziehungsfähigkeit (…) auch im Hinblick auf ihre Eignung zu berücksichtigen, die negativen Folgen einer eventuellen Traumatisierung des Kindes gering zu halten. Nur so tragen die Instanzgerichte neben dem Elternrecht (…) aus Art. 6 II Satz 1 GG auch dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Kindes aus Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG (vgl. BVerfG 24, 119, 144 = FamRZ 1968, 578) und der Grundrechtsposition der Pflegefamilie aus Art. 6 I und III GG Rechnung“.

Damit hebt auch das höchste Gericht die besondere Bedeutung von Traumatisierungen in allen Kinder und Jugendlichen betreffenden Verfahren hervor.

Quelle: RA Steffen Siefert

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Was tun, wenn Herausnahme droht?

Immer wieder werden Pflegeeltern mit der Situation konfrontiert, dass ihr Pflegekind aus der Pflegefamilie herausgenommen werden soll. Häufig meinen die leiblichen Eltern, sie seien wieder ausreichend stabilisiert und „ihr“ Kind solle nun bei ihnen aufwachsen. Auch kommt es immer wieder vor, dass die leiblichen Eltern oder auch der (Amts-) Vormund Pflegekinder aus ihrer Pflegefamilie herausnehmen wollen und etwa in eine andere Pflegefamilie, ein Kinderheim oder eine sonstige Einrichtung geben wollen. Dieser Konfliktfall hat natürlich eine ganz erhebliche Bedeutung für das weitere und gesunde Aufwachsen des Pflegekindes, von den Ängsten und Belastungen der betroffenen Pflegeeltern ganz zu schweigen. Häufig erleben wir in unserer beruflichen Praxis, dass Pflegeeltern nicht ausreichend über die Möglichkeiten informiert wurden, sich gegen solche Herausgabeansprüche zu wehren. Oft bekommen sie zu hören: “Sie sind doch nur die Pflegeeltern, sie haben keine Rechte.“ Dies ist jedoch falsch! Denn Pflegeeltern können sich gegen die Herausnahme eines Pflegekindes aus ihrer Familie erfolgreich zur Wehr setzen. Das Gesetz hält nämlich für Pflegeeltern das Recht bereit einen Antrag auf Verbleib des Pflegekindes in ihrer Familie zu stellen. Dieses Recht ist in § 1632 Abs. 4 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) normiert. Wegen der überragenden Bedeutung dieser Vorschrift für Pflegeeltern soll diese hier im Wortlaut wiedergegeben werden:

§ 1632 Abs. 4 BGB
„Lebt das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege und wollen die Eltern das Kind von der Pflegeperson wegnehmen, so kann das Familiengericht von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson anordnen,
dass das Kind bei der Pflegeperson verbleibt, wenn und solange das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet würde.“

Das Gesetz trägt mit dieser Vorschrift der inzwischen wissenschaftlich gesicherten Tatsache Rechnung, dass sich Pflegekinder im Verlaufe der Pflege immer enger an ihre Pflegeeltern binden und diese irgendwann die „psychologischen Eltern“ für diese Kinder werden. Ist jedoch ein Kind feste Bindungen an seine Pflegefamilie eingegangen, so kann das Kindeswohl bei einem Abbruch dieser Bindungen erheblichen Schaden nehmen. Die nachhaltigen Folgen von Bindungsabbrüchen in der Kindheit sind inzwischen auch wissenschaftlich gut dokumentiert.

Frau Prof. Dr. Zenz stellt insoweit etwa fest:
„Die Eltern-Kind-Bindung kommt im täglichen Zusammenleben mit der Befriedigung kindlicher Bedürfnisse nach Nahrung, Pflege, körperlichem und psychischem Kontakt zustande. Auf seiten des neugeborenen Kindes besteht die Bereitschaft, diese elementare Bindung zu jedem Menschen herzustellen, der Elternfunktionen im hier umschriebenen Sinne übernimmt. Das Kind ist dabei in keiner Weise auf seine leiblichen Eltern fixiert. Daran gibt es heute unter den diversen Wissenschaften keinerlei Zweifel mehr. Allgemein wird eine besondere Trennungsempfindlichkeit für Kinder bis zu sieben Jahre angenommen mit einer gesteigerten Sensibilität zwischen sechs Monaten und drei Jahren. Jüngere Untersuchungen weisen allerdings auf eine Trennungssensibilität bereits in den ersten sechs Monaten hin (…)“ (vgl. Der Österreichische Amtsvormund, 1985, S. 95).

§ 1632 IV BGB soll daher das Kind vor einer Herausnahme aus einer Pflegefamilie schützen, wenn es dort seine Bezugswelt gefunden hat, denn die Gesetzgeber wollten und wollen das Pflegekind vor dem Verlust seiner Bindungen schützen.

Solange die leiblichen Eltern die elterliche Sorge oder zumindest das Aufenthaltsbestimmungsrecht innehaben, haben sie auch das Recht, zu bestimmen, wo das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat. Das gleiche gilt natürlich auch für andere Personen oder Behörden, denen dieses Recht übertragen wurde, etwa dem Jugendamt als Amtsvormund. Wenn jedoch eine zur Wegnahme berechtigte Person die Absicht äußert, das Kind aus der Familienpflege wegnehmen zu wollen, dann haben Pflegeeltern das Rechtsschutzbedürfnis auf eine familiengerichtliche Entscheidung über den Verbleib. Denn die Pflegeeltern und natürlich auch das Kind müssen wissen, worauf sie sich einzustellen haben.

Voraussetzungen des Verbleibs
Nach welchen Kriterien entscheidet nun das Familiengericht? Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist der Verbleib anzuordnen, wenn durch die Wegnahme das Kindeswohl gefährdet würde. Einzig und alleine entscheidend wäre in einem Rechtsstreit also die Frage, was für das Pflegekind das beste ist. Dieses sog. „Kindeswohlprinzip“ wurde vom Gesetzgeber inzwischen auch an anderer Stelle gesetzlich fixiert, nämlich in § 1697 a BGB.

Auch das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht, betont immer wieder, dass bei einer Interessenkollission zwischen dem Kind und seinen leiblichen Eltern sowie den Pflegeeltern letztlich das Kindeswohl bestimmend ist.
In der Entscheidung BVerfGE 68,176,187 betont etwa das Bundesverfassungsgericht, dass auch die Pflegefamilie unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 und 3 des Grundgesetzes (GG) stehe. Zwar komme -so das BVerfG – zwischen der verfassungsrechtlich anerkannten Grundrechtsposition der Pflegeeltern und der von sorgeberechtigten Eltern grundsätzlich den letzteren Vorrang zu. Ausschlaggebend sei jedoch letztlich das Kindeswohl. Das Kindeswohl ist gegenüber dem Elternrecht vorrangig.

Das Bundesverfassungsgericht hat auch sehr konkrete Kriterien für die gerichtlich zu prüfende Entscheidung aufgestellt. Es unterscheidet dabei zunächst danach, ob die leiblichen Eltern die Herausgabe eines Kindes in ihre Familie wünschen oder ob ein bloßer Pflegestellenwechsel gefordert ist.

Verlangen die leiblichen Eltern bzw. ein Amtsvormund die Herausgabe des Kindes, damit dieses zukünftig in seiner Herkunftsfamilie aufwachsen soll, so muss das Familiengericht eine Verbleibensanordnung erlassen, wenn eine schwere und nachhaltige Schädigung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens des Kindes bei seiner Herausgabe zu erwarten ist (vgl. BVerfGE 68,176,190). Geht es dagegen um einen bloßen Pflegestellenwechsel, so ist einem Herausgabeverlangen nur dann stattzugeben, wenn mit hinreichender Sicherheit auszuschließen ist, dass die Trennung des Kindes von seinen Pflegeeltern mit psychischen oder physischen Schädigungen verbunden sein kann (BVerfGE 75,201,220).
Das Verfassungsgericht setzt die Schwelle bei einem Herausgabewunsch der leiblichen Eltern wegen der Elterngrundrechte also etwas geringer an. Gleichwohl macht das Verfassungsgericht klar, dass alleine die Dauer eines Pflegeverhältnisses zu einer Verbleibensanordnung nach § 1632 IV BGB führen kann, wenn anderenfalls eine Kindeswohlgefährdung zu erwarten ist.

Entscheidend für den Ausgang eines entsprechenden Verfahrens ist also die Frage, inwieweit ein Abbruch der Bindungen noch zumutbar ist. Es handelt sich hierbei um eine kinderpsychologische Fragestellung. Um diese Feststellung zu treffen, fehlt den Richterinnen und Richtern regelmäßíg die eigene Sachkunde. Das Gericht muss daher vor seiner Entscheidung ein kinderpsychologisches Sachverständigengutachten einholen (vgl. Palandt, Kommentar, § 1632 Rnd 20 mwN). Das Gericht bestellt in aller Regel eine Dipl. Psychologin oder einen Dipl. Psychologen, ggf. auch einen Kinderpsychiater. Bei der Auswahl des Gutachters sollte unbedingt darauf geachtet werden, ob der entsprechende Gutachter bzw. die Gutachterin über Kenntnisse und Erfahrungen auch im Bereich der Bindungsforschung verfügen.

Das Gutachten muss sich regelmäßig mit zwei Fragestellungen auseinandersetzen:
Zum einen ist zu prüfen, ob überhaupt bei den leiblichen Eltern eine Erziehungsfähigkeit vorliegt. Hier muss sogar ein über das normale Maß hinausgehende Erziehungsfähigkeit verlangt werden, um die negativen Folgen einer evtl. Traumatisierung des Kindes gering zu halten. Zum anderen muss die Qualität der Bindungen des Pflegekindes an seine Pflegeeltern untersucht werden, um die Frage zu klären, ob bei einem Abbruch dieser Bindungen ein Schaden zu erwarten ist.

Hervorzuheben ist, dass das Familiengericht den Verbleib auch bei vorhandener bzw. wiedergewonnener Erziehungsfähigkeit der leiblichen Eltern anordnen muss, wenn das Pflegekind inzwischen zu stark in seiner Pflegefamilie verwurzelt ist. Dies hat etwa das OLG Frankfurt (Beschluss vom 28.02.2002, FamRZ 2002, 1277 f.) hervorgehoben. In dieser Entscheidung heißt es:
„Es muss bei dem Sorgerechtsentzug auch bei wiedergewonnener Erziehungsfähigkeit der Mutter bleiben, wenn die Aufhebung des Sorgerechtsentzuges die derzeit stabile Entwicklung des Kindes gefährden würde, weil sie mit der Unterbrechung der Bindungen zu den Pflegeeltern, bei denen das achtjährige Kind seit dreieinhalb Jahren lebt, einhergehen müsste“.

Ab welchem Zeitraum eine Verbleibensanordnung zum Wohle des Kindes geboten ist, läßt sich natürlich nicht pauschal beantworten. Zu individuell sind hier die maßgeblichen Faktoren. Ausschlaggebend ist etwa das Alter des Kindes bei seiner Inpflegegabe sowie die Vorgeschichte des Kindes. Hat das Kind etwa Vernachlässigung, Mißbrauch oder einen häufigen Wechsel von Bezugspersonen erfahren, so muss es als Risikokind gelten, das für die Folgen eines weiteren Bindungsabbruchs besonders sensibilisiert ist. Von Bedeutung ist auch die Frage, wie häufig es Umgangskontakte zu den leiblichen Eltern gab und wie diese verlaufen sind.

Der stets individuellen Situation wird hier nur eine Betrachtung im Einzelfall gerecht, welche durch das Sachverständigengutachten erfolgen soll. In der Wissenschaft haben sich jedoch Richtwerte herausgebildet, die sich am kindlichen Zeitbegriff orientieren. So wird davon ausgegangen, dass eine Verbleibensanordnung eines Kindes, das zur Zeit der Unterbringung noch keine drei Jahre alt war, nach maximal zwölf Monaten geboten ist. Ist das Kind zur Zeit der Unterbringung zwischen drei und sechs Jahren alt wird häufig ein Zeitraum von maximal vierundzwanzig Monaten angesetzt. (so die Prof. Schwab und Zenz im Gutachten zum 54. Deutschen Juristentag; vgl. auch Siedhoff, FPR 1996, 66; MüKo-Hinz, § 1632 Rnd 26).

Im Einzelfall und je nach der individuellen Geschichte des Kindes kann ein Sachverständigengutachten auch schon bei deutlich geringeren Zeiten den Verbleib empfehlen, da anderenfalls ein Schaden für das Kindeswohl zu erwarten wäre.

Verfahren
Dieses oben umrissene Verfahren kommt in Gang, sobald die Pflegeeltern einen entsprechenden Antrag auf Verbleib beim zuständigen Familiengericht einreichen. Daneben kann das Familiengericht von Amts wegen tätig werden. Die Praxis hat gezeigt, dass es für den erfolgreichen Ausgang eines Verfahrens wichtig ist, dass die Pflegeeltern zum richtigen Zeitpunkt handeln und etwa rechtzeitig einen Verbleibensantrag einreichen, bevor möglicherweise bereits Fakten für eine Herausnahme geschaffen wurden. Je nachdem wie akut die Bedrohung ist, sollte parallel zu dem Antrag auf Verbleib noch ein Eilantrag gestellt werden, nämlich ein Antrag auf Erlass einer vorläufigen Anordnung des Verbleibes. Mit dieser Zwischenentscheidung wird zunächst nur der Gefahr begegnet, dass die leiblichen Eltern bzw. der Vormund aufgrund ihrer formalen Rechte, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen, Fakten schaffen, die mit dem Kindeswohl nicht vereinbar sind. Mit einer vorläufigen Anordnung läßt sich diese Gefahr beseitigen. Denn es kann geraume Zeit vergehen, bis das Verbleibensverfahren abgeschlossen ist, insbesondere die Anfertigung des Gutachtens kann ein Verfahren verzögern. Durch die vorläufige Anordnung kann der Verbleib des Kindes vorläufig und für diese Übergangszeit gesichert werden. Die einstweilige Sicherung des Verbleibes bei den Pflegeeltern ist auch ein typischer Anwendungsfall einer vorläufigen Anordnung, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Kind bei einer Herausnahme gefährdet würde. Denn es darf gerade nicht erst zu einer Herausgabe kommen mit anschließender Prüfung, ob dies für das Kind tragbar ist.

Verfahrenspfleger
Regelmäßig wird das Gericht für das minderjährige Pflegekind einen Verfahrenspfleger bestellen. Der Verfahrenspfleger ist der „Anwalt des Kindes“ und soll im Verfahren dessen Sprachrohr sein, damit die Interessen der Kinder im Rechtsstreit zwischen den erwachsenen Beteiligten angemessenes Gehör finden. Gemäß § 50 Abs. 2 Nr. 3 FGG (Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit) ist in einem Verbleibensverfahren dem Kind ein Verfahrenspfleger als Regelfall zu bestellen. Das Unterlassen einer Verfahrenspflegerbestellung müsste vom Gericht begründet werden.

Es empfiehlt sich, soweit möglich, dem Gericht eine Verfahrenspflegerin bzw. einen Verfahrenspfleger vorzuschlagen, da eine einheitliche Ausbildung für Verfahrenspfleger noch nicht existiert und nach eigener Erfahrung Qualität und Einsatzbereitschaft für das Kind daher höchst unterschiedlich ausgeprägt sind.

Quelle: RA Steffen Siefert

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