Das Bundeskabinett hat am 2. Dezember den Gesetzentwurf für ein neues Kinder- und Jugendstärkungsgesetz beschlossen. Damit wird das Achte Sozialgesetzbuch – das Kinder- und Jugendhilfegesetz – reformiert. Ziel des Gesetzes ist, Teilhabe und Chancengerechtigkeit von jungen Menschen zu stärken, die besonderen Unterstützungsbedarf haben.
Das neue Gesetz erschließt sich in 5 Regelbereiche:
Besserer Kinder- und Jugendschutz
Stärkung von Kindern und Jugendlichen, die in Pflegefamilien oder in Einrichtungen der Erziehungshilfe aufwachsen
Hilfen aus einer Hand für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen
Mehr Prävention vor Ort
Mehr Beteiligung von jungen Menschen, Eltern und Familien
Bundesjugendministerin Franziska Giffey:
„Mit der Beschlussfassung heute im Kabinett bringen wir eines unserer Flaggschiff-Projekte im Kinder- und Jugendbereich auf den Weg. Eine moderne Kinder- und Jugendhilfe ist für diejenigen jungen Menschen da, die in einem schwierigen Umfeld aufwachsen, belastenden Situationen ausgesetzt sind oder drohen, von der sozialen Teilhabe abgehängt zu werden. Das sind über eine Million Kinder und Jugendliche in Deutschland. Mit dem neuen Kinder- und Jugendstärkungsgesetz ermöglichen wir jetzt wichtige Verbesserungen für sie.
Wir haben fünf große Regelungsziele: Schützen, Stärken, Helfen, Unterstützen, Beteiligen. Kinder und Jugendliche werden mit ihren Eltern künftig aktiv einbezogen. Und junge Menschen sollen Kinder- und Jugendhilfen aus einer Hand bekommen, die perspektivisch auch nicht mehr zwischen Kindern mit und ohne Behinderung unterscheidet. Denn: Jedes Kind ist erst einmal ein Kind. Und die Kinder- und Jugendhilfe sollte der erste Ansprechpartner für alle sein.
Viele Fachleute, Praktikerinnen und Praktiker und Betroffene haben sich an der Entwicklung dieses zukunftsfähigen Gesetzes beteiligt und warten jetzt auf die Umsetzung. Ich bin überzeugt davon, dass das neue Gesetz das Aufwachsen der Kinder und Jugendlichen spürbar erleichtern wird. Diese Reform stellt das Wohl der Kinder und deren Entwicklungsperspektiven an die allererste Stelle.“
Die Forderung der FDP- und Linksfraktion nach einer Abschaffung des Kostenbeitrags von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie in Pflegefamilien ist bei Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter Leitung von Sabine Zimmermann (Die Linke) am Montag, 9. März 2020, mehrheitlich auf Zustimmung gestoßen. Vier der sechs geladenen Experten unterstützten einen entsprechenden Antrag der FDP (19/10241) und einen Gesetzentwurf der Linken (19/17091) zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII).
Das OLG Frankfurt a.M. hat mit Beschluss vom 28.02.2002 (FamRZ 2002,
1277 ff.) hervorgehoben, dass eine Verbleibensanordnung zugunsten eines
Pflegekindes auch dann ergehen muss, wenn die leibliche Mutter
inzwischen (wieder) erziehungsfähig ist, sich das Pflegekind inzwischen
jedoch zu eng in der Pflegefamilie gebunden hat. Ausdrücklich hat das
OLG in seiner Entscheidung ausgeführt:
„Es muss bei dem Sorgerechtsentzug auch bei wiedergewonnener
Erzie-hungsfähigkeit der Mutter bleiben, wenn die Aufhebung des
Sorgerechtsentzuges die derzeit stabile Entwicklung des Kindes gefährden
würde, weil sie mit der Unterbrechung der Bindungen zu den
Pflegeeltern, bei denen das 8jährige Kind seit 3 ½ Jahren lebt,
einhergehen müsste. (…) Nachdem das Kind in früher Kindheit unter
schwierigen Verhältnissen zunächst mit von der Großmutter und nach deren
Erkrankung von den Pflegeeltern be-treut werden musste, würde die
gerade gewonnene Sicherheit erneut gefährdet. (…) (Zwar hat sich) die
Mutter emotional und in der Lebensbewältigung gefestigt und hat ein
gutes, ausbaufähiges Verhältnis zu dem Kind wiederherstellen können. (…)
Allerdings kann nicht übersehen werden, dass das Kind seit 1998 bei
einer Pflegefamilie untergebracht ist und zu seinen Pflegeeltern eine
herzliche Beziehung aufgebaut hat. Damit hat das Kind den größten Teil
seines bewussten Lebens im Haushalt der Pflegeel-tern verbracht. Es hat –
auch wenn es zu seiner Mutter ebenfalls eine herzliche Beziehung
unterhält – den nachvollziehbaren Wunsch, weiterhin bei seinen
Pflegeeltern wohnen bleiben zu dürfen, wo es sehr gut gefördert und in
seiner Beziehung zur leiblichen Mutter gut unterstützt wird. Die
Sachverständige hat den Wunsch des Kindes als mit den gewonnenen
Befunden stimmig bezeichnet und sich zur Absicherung der Stabilität
seiner Entwicklung für ein Verbleiben des Kindes bei seinen Pflegeeltern
ausgesprochen.“
Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. überprüft regelmäßig die Höhe der Pauschalbeträge in der Vollzeitpflege für die Kosten für den Sachaufwand sowie für die Kosten für die Pflege und Erziehung des Kindes oder Jugendlichen und passt diese in seinen Empfehlungen einer eventuellen Steigerung der Lebenshaltungskosten der privaten Haushalte an. Zudem prüft er, ob Änderungen der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung bzw. der Rentenversicherung erfolgt sind, die zu einer Anpassung seiner Empfehlungen führen.
Monatliche Pauschalbeträge für die Kosten für den Sachaufwand sowie für die Pflege und Erziehung des Kindes oder Jugendlichen
Hinsichtlich der Kosten für den Sachaufwand ergeben sich auf der Grundlage der aktuellen Sonderauswertung sowie unter Berücksichtigung einer Erhöhung der Verbraucherpreise um 1,4 % gegenüber dem Vorjahr die aus der Tabelle ersichtlichen Werte:
Fordert eine leibliche Mutter oder ein leiblicher Vater die
Herausnahme eines Kindes aus seiner Pflegefamilie, so können
Pflegeeltern sich hiergegen regelmäßig gut und effektiv wehren, indem
sie einen Verbleibensantrag stellen. Diese Möglichkeit hat ihnen der
Gesetzgeber nach § 1632 IV BGB eingeräumt. Nach dieser Vorschrift können
Pflegeeltern beantragen, dass das Pflegekind bei ihnen verbleibt. Dem
Verbleibensantrag muss entsprochen werden, wenn im Falle der Herausnahme
das Kindeswohl gefährdet wäre. In solchen Verfahren prüft das
Familiengericht letztlich zwei Kernargumente. Zum einen wird geprüft, ob
der Elternteil überhaupt über die zu fordernde Erziehungsgeeignetheit
verfügt, ob dieser also überhaupt (wieder) in der Lage wäre, das Kind
selbst zu pflegen und zu erziehen. Aber selbst wenn Kindeseltern sich
hier wieder stabilisiert haben, heißt dies keineswegs, dass ein Kind
dann aus seiner Pflegefamilie herausgenommen werden kann. Denn ein Kind
kann hier nur eine gewisse Zeit auf die Stabilisierung seiner leiblichen
Eltern warten. Gerade dann, wenn das Kind sich in der
bindungssensitiven Phase befindet, bindet es sich natürlich an seine
Pflegeeltern. Ist hier eine zu starke Bindung entstanden, dann kann ein
Abbruch dieser Bindung für das Kind einen lebenslangen Schaden bedeuten.
In diesem Fall muss das Kind bereits wegen der schädlichen Folgen des
Bindungsabbruchs bei seinen Pflegeeltern verbleiben. Dies muss auch dann
gelten, wenn die leiblichen Eltern etwa inzwischen wieder in der Lage
wären, ein Kind grundsätzlich zu pflegen und zu erziehen.
In einem vom Verfasser bearbeiteten Fall hat das OLG Hamm dies in
einer Entscheidung sehr kindzentriert betont. In diesem Fall begehrte
die leibliche Mutter die Herausnahme ihres Kindes aus der Pflegefamilie.
Sie hatte in der Zwischenzeit ein weiteres Kind auf die Welt gebracht,
welches sie (mit Hilfen) selbst großziehen kann. Dennoch hat in zweiter
Instanz das OLG Hamm die Entscheidung des Amtsgerichtes gegen die
Beschwerde der Kindesmutter bestätigt, dass das Kind in der
Pflegefamilie verbleiben muss. Es hat klargestellt, dass der Verbleib
völlig unabhängig von der (in diesem Fall allerdings sehr kritisch
eingeschätzten) Erziehungsgeeignetheit der Kindesmutter anzuordnen ist,
und zwar alleine wegen der Folgen des Bindungsabbruchs. Wörtlich führt
das OLG Hamm in der Entscheidung aus:
„Unabhängig davon hat das Kind zu den Pflegeeltern, insbesondere zu
der Pflegemutter (…) zwischenzeitlich derartig sichere und tragfähige
Bindungen entwickelt, dass eine Herausnahme des Kindes zu einem
Bindungsabbruch und zu einer erheblichen Verunsicherung des Kindes
führen würde und damit das Kindeswohl in einem nicht vertretbaren Maße
gefährdet würde. (…) Eine Herausnahme des Kindes aus dieser Umgebung
wäre gleichbedeutend mit einem erneuten tiefen Bruch in seinem Leben,
durch den die gesunde Entwicklung des vorbelasteten Kindes zur
Disposition gestellt würde. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund,
dass bereits durch den vormaligen Wechsel zunächst in den Haushalt der
Pflegeeltern, dann zurück in den Haushalt der Kindesmutter und dann
zurück in den Haushalt der Pflegeeltern im Jahre 2005 bereits mehrfach
Trennungserfahrungen hat machen müssen, so dass von einer erhöhten
Vulnerabilität des Kindes auszugehen und die Gefahr eines nicht mehr
behebbaren emotionalen Schadens gegeben ist“.
Die Praxis zeigt, dass Pflegeeltern ab einer gewissen Verfestigung
der Pflegedauer sehr gute Aussichten haben, das Kind vor einem Schaden
im Falle der Herausnahme zu schützen und den Verbleib in der
Pflegefamilie durchzusetzen. Der Verfasser konnte hier in einer großen
Vielzahl von Verfahren Verbleibensanordnungen für Pflegeeltern
durchsetzen. Dabei ist es in derartigen Verfahren natürlich stets von
großer Bedeutung, die Gefahren für das Pflegekind und aus Sicht des
Pflegekindes vorzutragen. Generell darf das Elternrecht nicht
unterschätzt werden und wird auch bei den Gerichten durchaus hoch
angesiedelt. Es gilt jedoch der ganz allgemeine Grundsatz, dass das
Elternrecht vom Kindeswohl verdrängt wird.
Die oben zitierte Entscheidung des OLG Hamm wird im PDF-download in anonymisierter Fassung im kompletten Wortlaut wiedergegeben: