Der Bundestag hat am Mittwoch, 28. September 2022, erstmals über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur „Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe“ (20/3439) debattiert. Nach der Aussprache wurde die Vorlage zur weiteren Beratung in den federführenden Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen.
Bisherige Rechtslage
Bisher gilt: In der Kinder- und Jugendhilfe werden junge Menschen, die in einer Pflegefamilie oder einer Einrichtung oder sonstigen Wohnform der Kinder- und Jugendhilfe leben und die ein eigenes Einkommen haben, zu den Kosten der Leistung der Kinder- und Jugendhilfe aus ihrem Einkommen herangezogen. Dies gilt auch für alleinerziehende Mütter oder Väter mit ihrem Kind, die in einer gemeinsamen Wohnform untergebracht sind. Dabei handelt es sich um sogenannte Leistungsberechtigte nach Paragraf 19 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII).
Der Kostenbetrag kann bis zu 25 Prozent des Einkommens betragen. Auch die Ehegatten und Lebenspartner der jungen Menschen und Leistungsberechtigten nach Paragraf 19 des SGB VIII werden abhängig von der Höhe ihres Einkommens zu den Kosten aus ihrem Einkommen herangezogen.
Vorgesehene Änderungen
Das will die Bundesregierung nun ändern. Der Gesetzentwurf sieht vor, die Kostenheranziehung bei jungen Menschen und Leistungsberechtigten nach Paragraf 19 SGB VIII sowie für ihre Ehegatten und Lebenspartner aufzuheben. Dadurch könnten die jungen Menschen und Leistungsberechtigten sowie ihre Ehegatten und Lebenspartner vollständig über das Einkommen, das sie erzielen, verfügen, heißt es im Entwurf.
Zur Begründung schreibt die Regierung, dass die Kostenheranziehung dem Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe widerspricht. „Wachsen junge Menschen außerhalb ihrer Herkunftsfamilie auf, haben sie bereits mit zusätzlichen Herausforderungen umzugehen und dadurch einen schwierigeren Start in ein eigenständiges Leben. Dieser Start wird nochmal erschwert, wenn sie einen Teil ihres Einkommens, das sie zum Beispiel im Rahmen eines Schüler- oder Ferienjobs oder ihrer Ausbildung verdienen, abgeben müssen.“ Durch die Abschaffung der Kostenheranziehung verringern sich laut Regierung die Einnahmen der Kommunen um jährlich rund 18,3 Millionen Euro. (vom/che/28.09.2022)
Der Gesetzentwurf sieht vor, die Kostenheranziehung von jungen Menschen und Leistungsberechtigten nach § 19 sowie für ihre Ehegatten und Lebenspartner aufzuheben. Dadurch können die jungen Menschen und Leistungsberechtigten nach § 19 sowie ihre Ehegatten und Lebenspartner vollständig über das Einkommen, das sie erzielen, verfügen.
Mit dem Gesetz sollen junge Menschen finanziell entlastet werden, die in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe oder in einer Pflegefamilie leben oder mit ihrem Kind in einer gemeinsamen Wohnform der Kinder- und Jugendhilfe betreut werden.
Bisher müssen junge Menschen bis zu 25 Prozent ihres Einkommens aus Ausbildung oder anderen Tätigkeiten an das Jugendamt abgeben, wenn sie in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe oder in einer Pflegefamilie leben. Gleiches gilt für alleinerziehende Mütter und Väter, die mit ihrem Kind in einer gemeinsamen Wohnform der Kinder- und Jugendhilfe betreut werden.
Um jungen Menschen den Start in eine unabhängige und selbst bestimmte Zukunft zu erleichtern, soll diese Kostenheranziehung in Zukunft wegfallen.
Das Inkrafttreten der neuen Regelung ist für den 1. Januar 2023 vorgesehen.
Junge Menschen und alleinerziehende Mütter und Väter bei ihrem Start in eine selbstbestimmte Zukunft unterstützen
13.07.2022 Pressemitteilung BMFSFJ
Das Bundeskabinett hat heute den vom Bundesfamilienministerium vorgelegten Gesetzentwurf zur Abschaffung der Kostenheranziehung in der Kinder- und Jugendhilfe beschlossen. Ziel des Gesetzentwurfes ist, junge Menschen, die in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe oder in einer Pflegefamilie leben, sowie alleinerziehende Mütter und Väter, die mit ihrem Kind in einer gemeinsamen Wohnform der Kinder- und Jugendhilfe betreut werden, finanziell zu entlasten.
Bisher mussten jungen Menschen sowie alleinerziehende Mütter und Väter bis zu 25 Prozent ihres Einkommens aus Ausbildung oder anderen Tätigkeiten an das Jugendamt abgeben. Mit der Abschaffung der Kostenheranziehung sollen diese jungen Menschen stärker motiviert werden, Ausbildungen oder andere Jobs zu beginnen.
Die Befassung von Bundesrat und Bundestag ist für den Herbst/Winter 2022 geplant. Das Gesetz soll zum 1. Januar 2023 in Kraft treten.
Die Empfehlungen (DV 13/21) wurden am 14. September 2021 vom Präsidium des Deutschen Vereins verabschiedet.
Alter des Pflegekindes (von … bis unter…
Pauschalbeträge für den Sachaufwand 20218
Kosten für den Sachaufwand nach aktueller Sonderauswertung9 (€)
Empfohlener Pauschalbetrag für den Sachaufwand 2022 (€)
Kosten für die Pflege und Erziehung 2022 (€)
0 – 6
571
592
58510
255
6 – 12
657
726
692
255
12 – 18
722
851
787
255
In den Kosten für den Sachaufwand sind folgende Posten enthalten:
Nahrungsmittel, Getränke,
Bekleidung und Schuhe,
Wohnen, Energie, Wohnungsinstandhaltung,
Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände,
Gesundheitspflege,
Verkehr,
Post und Telekommunikation,
Freizeit, Unterhaltung und Kultur, einschließlich Spiele, Spielzeug, Hobbywaren sowie Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, Schreibwaren,
Bildungswesen
Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen, darunter Verpflegungsdienstleistungen,
andere Waren und Dienstleistungen.
8 https://www.deutscher-verein.de/de/uploads/empfehlungen-stellungnahmen/2020/dv-13-20_pauschalbetraege_vollzeitpflege.pdf (16. September 2021). 9 Vgl. Konsumausgaben von Familien für Kinder, Statistisches Bundesamt 2021, im Internet unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Konsumausgaben-Lebenshaltungskosten/Publikationen/Downloads-Konsumausgaben/konsumausgaben-familien-kinder-5632202189004.pdf?__blob=publicationFile (16. September 2021). 10 Um im Vergleich zu den Vorjahresbeträgen mindestens die Steigerung der Verbraucherpreise des vergangenen Jahres abzubilden, ist in der untersten Altersgruppe der Pauschalbetrag für den Sachaufwand bereits etwas mehr als nach dem vorgeschlagenen Stufenmodel (1/2+1/4+1/4) notwendig angehoben worden. Daraus ergeben sich in den beiden Folgejahren dann entsprechend etwas niedrigere Aufschläge.
Hier können Sie sich die Empfehlung des DV als PDF downloaden
Das Achte Sozialgesetzbuch (SGB VIII), welches zum 01.01.1991 in Kraft trat, umfasst die bundeseinheitlichen gesetzlichen Regelungen bezüglich der Kinder- und Jugendhilfe, deswegen wird das SGB VIII auch als „Kinder- und Jugendhilfegesetz“ bezeichnet. Zuletzt geändert durch Gesetz vom 05.10.2021 (BGBl. I S. 4607) mit Wirkung vom 01.01.2022
Gemäß dem SGB VIII werden bundeseinheitlich die Leistungen gegenüber jungen Menschen sowie deren Familien geregelt. Die Verantwortung dafür, dass diese Leistungen erbracht werden, obliegt dem jeweiligen Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Land, Landkreise, Städte). Zur Durchführung ihrer Aufgaben werden Landesjugendämter und Jugendämter eingerichtet. Zu diesen Leistungen zählen:
§ 86 SGB VIII Örtliche Zuständigkeit für Leistungen an Kinder, Jugendliche und ihre Eltern
§ 86a SGB VIII Örtliche Zuständigkeit für Leistungen an junge Volljährige
§ 86b SGB VIII Örtliche Zuständigkeit für Leistungen in gemeinsamen Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder
§ 86c SGB VIII Fortdauernde Leistungsverpflichtung und Fallübergabe bei Zuständigkeitswechsel
§ 86d SGB VIII Verpflichtung zum vorläufigen Tätigwerden
Zweiter Unterabschnitt
Örtliche Zuständigkeit für andere Aufgaben
§ 87 SGB VIII Örtliche Zuständigkeit für vorläufige Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen
§ 87a SGB VIII Örtliche Zuständigkeit für Erlaubnis, Meldepflichten und Untersagung
§ 87b SGB VIII Örtliche Zuständigkeit für die Mitwirkung in gerichtlichen Verfahren
§ 87c SGB VIII Örtliche Zuständigkeit für die Beistandschaft, die Amtspflegschaft, die Amtsvormundschaft und die schriftliche Auskunft nach § 58a
§ 87d SGB VIII Örtliche Zuständigkeit für weitere Aufgaben im Vormundschaftswesen
§ 87e SGB VIII Örtliche Zuständigkeit für Beurkundung und Beglaubigung
Dritter Unterabschnitt
Örtliche Zuständigkeit bei Aufenthalt im Ausland
§ 88 SGB VIII Örtliche Zuständigkeit bei Aufenthalt im Ausland
Vierter Unterabschnitt
Örtliche Zuständigkeit für vorläufige Maßnahmen, Leistungen und die Amtsvormundschaft für unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche
§ 88a SGB VIII Örtliche Zuständigkeit für vorläufige Maßnahmen, Leistungen und die Amtsvormundschaft für unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche
Dritter Abschnitt
Kostenerstattung
§ 89 SGB VIII Kostenerstattung bei fehlendem gewöhnlichen Aufenthalt
§ 89a SGB VIII Kostenerstattung bei fortdauernder Vollzeitpflege
§ 89b SGB VIII Kostenerstattung bei vorläufigen Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen
§ 89c SGB VIII Kostenerstattung bei fortdauernder oder vorläufiger Leistungsverpflichtung
§ 89d SGB VIII Kostenerstattung bei Gewährung von Jugendhilfe nach der Einreise
Nunmehr gibt es ein weiteres Urteil, diesesmal vom Bundesverwaltungsgericht BVerwG 5 C 9.19 – Urteil vom 11. Dezember 2020, dass ebenfalls zu dem Schluss kommt, dass die praktizierende Abrechnung zur Kostenheranziehung nicht rechtskonform ist.
Grenzen der Erhebung eines jugendhilferechtlichen Kostenbeitrags bei jungen Menschen aus ihrem in einer Werkstatt für behinderte Menschen erzielten Einkommen
Maßgeblich für die Berechnung des Kostenbeitrags, den junge Menschen bei vollstationären Leistungen der Jugendhilfe zu erbringen haben, ist das durchschnittliche Monatseinkommen des Vorjahres. Stammt das Einkommen aus einer Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen, die dem Zweck der Jugendhilfeleistung dient, hat der Jugendhilfeträger nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob er von der Erhebung eines Kostenbeitrags ganz oder teilweise absieht. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.
Die 1993 geborene Klägerin ist mit einem höheren Grad als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Ab Dezember 2014 arbeitete sie in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Hierfür erhielt sie ein monatliches Nettoentgelt von durchschnittlich 88 €. Für die ihr gleichzeitig gewährte Hilfe für junge Volljährige in Form der vollstationären Unterbringung in einem Wohnheim zog der beklagte Landkreis sie für den Zeitraum von Januar 2015 bis Juli 2016 zu einem monatlichen Kostenbeitrag i.H.v. 75 Prozent ihres Einkommens heran. Diesen Beitrag setzte er im Widerspruchsbescheid auf durchschnittlich 67 € im Monat fest und verlangte von der Klägerin eine Nachzahlung i.H.v. 1 373,95 €. Die dagegen von der Klägerin erhobene Klage hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen. Der streitige Kostenbeitragsbescheid ist rechtswidrig, weil der Beklagte bei der Berechnung des Einkommens der Klägerin die gesetzliche Regelung nicht angewendet hat, wonach das durchschnittliche Monatseinkommen maßgeblich ist, das die kostenbeitragspflichtige Person in dem Kalenderjahr erzielt hat, welches dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung vorangeht (§ 93 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Achtes Buch – SGB VIII -). Diese Bestimmung ist entgegen der Ansicht des Beklagten auch anzuwenden, wenn junge Menschen für vollstationäre Leistungen der Jugendhilfe zu Kostenbeiträgen i.H.v. 75 Prozent ihres Einkommens (§ 94 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII) herangezogen werden. Der Umstand, dass das Abstellen auf den Vorjahreszeitraum teilweise als rechtspolitisch verfehlt angesehen wird und in der Gesetzgebung seit längerem Änderungen geplant sind, ist für die Auslegung des geltenden Rechts nicht erheblich.
Der Beklagte hat außerdem zu Unrecht von dem ihm gesetzlich (§ 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIII) eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht. Danach kann ein geringerer Kostenbeitrag erhoben oder gänzlich von der Erhebung abgesehen werden, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit stammt, die dem Zweck der Jugendhilfeleistung dient. Diese Voraussetzung für die Ermessensausübung war hier erfüllt. Zweck der Hilfe für junge Volljährige ist in erster Linie die Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung und die Förderung einer selbstständigen und eigenverantwortlichen Lebensführung. Diesem Zweck diente auch die Tätigkeit der Klägerin in einer Werkstatt für behinderte Menschen.