Herzlich willkommen auf unseren Seiten

Herzlich willkommen auf unseren Seiten

Der Wechsel der örtlichen Zuständigkeit nach § 86 VI SGB VIII

Entscheidend für die Frage, welches Jugendamt für die Betreuung des Pflegeverhältnisses zuständig ist, ist die sog. örtliche Zuständigkeit. Diese ist in der recht komplizierten Vorschrift des § 86 SGB VIII geregelt. Örtlich zuständig ist zunächst regelmäßig das Jugendamt, in dessen Bereich die leiblichen Eltern ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Ziehen leibliche Eltern in den Bereich eines anderen Jugendamtes, so führt dies regelmäßig dazu, dass auch ein anderes Jugendamt für das Pflegeverhältnis zuständig wird. Daneben gibt es Sonderregelungen, wenn das Sorgerecht (teilweise) entzogen wurde. Wie die meisten Pflegeeltern jedoch wissen, ändert sich dies nach zwei Jahren Pflegedauer. Dann wird das Jugendamt zuständig, in dessen Bereich die Pflegeeltern leben. Geregelt ist dies in § 86 Abs. 6 SGB VIII. Die Vorschrift lautet:

„Lebt ein Kind oder ein Jugendlicher zwei Jahre bei einer Pflegeperson und sein Verbleib bei dieser Pflegeperson auf Dauer zu erwarten, so ist oder wird abweichend von den Absätzen 1-5 der örtliche Träge zuständig, in dessen Bereich die Pflegeperson ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.“

Der Wechsel der örtlichen Zuständigkeit kann Vor- und Nachteile haben. Dass nach zwei Jahren, unabhängig vom Aufenthaltsort der leiblichen El-tern, das Jugendamt am Wohnort der Pflegeeltern zuständig wird und bleibt, ist zunächst sicherlich als Anerkennung der faktischen Eltern-Kind-Bindung zwischen Pflegekind und Pflegeeltern zu sehen. Der Standard-Kommentar Wiesner (SGB VIII, § 86 Rdnr. 33) führt hierzu aus:

„Die Vorschrift trägt der psychosozialen Realität Rech-nung, dass ein Kind oder ein Jugendlicher, das bzw. der längere Zeit mit anderen Personen zusammen lebt, die sich ihm liebevoll zuwenden, ein neues schützeswertes Eltern-Kind-Verhältnis begründen kann“.

Mögliches Problem: Fortbestand bisheriger Vereinbarungen
Die größere Ortsnähe für die Pflegeeltern und die Kenntnis der infrastruk-turellen Gegebenheiten wird häufig als Vorteil angesehen. Auf der anderen Seite darf nicht übersehen werden, dass der Wechsel der Zuständigkeit nach zwei Jahren regelmäßig auch einen Bruch der Kontinuität in der Betreuung des Pflegeverhältnisses mit sich bringt, immer wieder auch durchaus neue Ansätze für die Bearbeitung des Pflegeverhältnisses. Je nach Sachbearbeiter kann der Wechsel dazu führen, dass das neue Jugendamt gänzlich andere Ansätze vertritt und verfolgt, etwa bei der Häufigkeit der Umgangsgestaltung oder ähnliches. Wie so häufig steht und fällt dies mit der jeweiligen Qualität des übernehmenden Jugendamtes bzw. Sacharbeiters. Besonders problematisch kann der Wechsel dann werden, wenn beim zuerst zuständigen Jugendamt ein freier Träger eingeschaltet wurde, welcher die Pflegeeltern qualitativ hochwertig betreut und begleitet. Es kommt hier nicht selten dazu, dass das nach zwei Jahren zuständige Jugendamt eine weitere Zusammenarbeit mit diesem freien Träger – in der Regel aus Kostengründen – nicht fortsetzen will. Als Beispiel sei genannt, dass das neu zuständige Jugendamt etwa keine Sonderpflegestellen („Westfälische Pflegefamilie“) anerkennt oder grundsätzlich nicht mit freien Trägern wie der Diakonie oä zusammenarbeitet und diese Vereinbarungen nicht übernehmen will. Nach der Rechtsprechung ist dabei leider auch das neu übernehmende Jugendamt nicht gezwungen, bestehende Verträge einfach zu übernehmen. Nach einem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.12.2004 (Aktenzeichen.: 5 B 80/04) kann nämlich „der Wechsel der Zuständigkeit nicht als Eintritt in ein fremdes Rechtsverhältnis nach Art einer Vertragsübernahme bewertet werden (…), sondern (es wird) die Begründung einer eigenen Wahrnehmungskompetenz bewirkt und der nunmehr zuständige örtliche Träger hat mit Wirkung für die Zukunft den Jugendhilfefall in eigener Verantwortung zu regeln“.

Die Möglichkeit des Wegfalls einer bewährten und qualitativ hochwertigen Beratung und Betreuung der Pflegeeltern aufgrund des Wechsels, insbesondere bei Betreuung durch einen freien Träger, wird von Pflegeeltern vielfach als erheblicher Nachteil erlebt. Nach der derzeitigen Rechtslage ist aber häufig schwierig, bei einem Wechsel die Beibehaltung der Betreuung durchzusetzen. Sind Pflegeeltern gleichzeitig auch Personensorgeberechtigte, wäre ein denkbarer Weg, sich hier auf das Wunsch- und Wahlrecht bei Beratung und Betreuung zu berufen, § 5 SGB VIII i.V. § 37 II SGB VIII. Ansonsten muss bezüglich dieses Nachteiles festgehalten werden, dass eine Neuregelung des Gesetzgebers zur Sicherung der Konstanz und der qualitativen Standards bei Beratung und Begleitung eines Pflegeverhältnisses geboten wäre. Denn derzeit können Pflegeeltern beim Wechsel der örtlichen Zuständigkeit nicht auf den Fortbestand der vertraglichen Ver-einbarung mit dem bisher zuständigen örtlichen Jugendamt vertrauen.

Voraussetzungen des Wechsels
Von derlei Problemen abgesehen, wird der Wechsel an das „heimische“ Jugendamt aber von Pflegeeltern oftmals als bereichernd angesehen. Nicht selten stellt sich sogar die Problematik, dass das zuständige Jugendamt nach zwei Jahren die Zuständigkeit nicht abgeben möchte. Die Frage, wann denn genau der Fall abgegeben werden muss, ist aber inzwischen höchstrichterlich eindeutig geklärt. Insbesondere ist geklärt, dass die Zuständigkeit kraft Gesetzes automatisch eintritt und nicht etwa erst eine Übernahmeentscheidung des alten Jugendamtes voraussetzt. Der BGH hat etwa im Urteil vom 23.07.03 (NJW 03, 3419 ff.) hierzu ausgeführt:

„Nach dem Wortlaut des § 86 VI SGB VIII tritt ein Zuständigkeitswechsel kraft Gesetzes ein (mwN) und bedarf daher keiner zuständigkeitsbegründenden Erklärung des übernehmenden Trägers der Jugendhilfe.(…). Zum Zeitablauf von zwei Jahren hinzukommen muss die Prognose für den künftigen Verbleib des Kindes oder Jugendlichen auf Dauer bei dieser Pflegeperson. Wann dies der Fall ist und wer diese Prognose anzustellen hat, wird in § 86 VI SGB VIII selbst nicht definiert. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der Auslegung bedarf. Dabei ist es zu weitgehend, wenn der Begriff „auf Dauer zu erwarten“ so ausgelegt wird, dass die Rückkehr in die Herkunftsfamilie für alle Zeiten ausgeschlossen ist. Vielmehr ist es ausreichend, wenn prognostiziert wird, dass eine Rückkehr bis auf weiteres nicht zu erwarten ist und die Pflegeperson bereit und in der Lage ist, das Kind oder den Jugendlichen auf Dauer, d.h. mindestens bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zu betreuen (…). Grundlage für die Prognose sind daher die im Rahmen des Hilfe-plans bzw. auf seiner Fortschreibung getroffenen Feststellungen (mwN). Wenn nach einem zweijährigen Aufenthalt bei der Pflegeperson nach dem aktuellen Hilfeplan der noch bemessene Zeitraum des Verbleibs nicht auf wenige Monate begrenzt ist und konkret keine Rückkehr in die Herkunftsfamilie zu erwarten oder geplant ist, ist ein Zuständigkeitswechsel auf das Jugendamt des gewöhnlichen Aufenthaltsortes der Pflegeperson im Interesse einer ortsnahen Planung und Betreuung bei der Erziehungshilfe geboten (mwN). Folglich wird das Jugendamt am neuen gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes oder Jugendlichen in aller Regel an die Einschätzungen des bisher zuständigen Jugendamtes gebunden sein (mwN). „
Der BGH führt in der zitierten Entscheidung sogar aus, dass ein Träger der Jugendhilfe seine gegenüber dem Kind bestehenden Amtspflichten verletzt, wenn er trotz des aus Gründen der Ortsnähe eingetretenen Zuständigkeitswechsels gem. § 86 VI SGB VIII rechtswidrig die Übernahme der Hilfeleistung ablehnt. Der BGH hat seine deutliche Rechtsauffassung etwa im Urteil vom 21.10.04 (FamRZ 05, 83 f.) wiederholt.

Sollte also ein Jugendamt entgegen des Wunsches von Pflegeeltern seine Zuständigkeit nach zwei Jahren nicht abgeben wollen, so bestehen hier regelmäßig gute Aussichten, dies auf der Grundlage der oben zitierten Rechtsprechung durchzusetzen.

Quelle: RA Steffen Siefert

Loading

Durchsetzung von Pflegegeld durch Pflegeeltern

Voraussetzungen, Probleme, Lösungsvorschläge


Wird ein Kind in einer Pflegefamilie untergebracht und Tag und Nacht von den Pflegeeltern betreut, so geschieht dies regelmäßig im Rahmen der Vollzeitpflege. Hierbei handelt es sich um eine sogenannte „Hilfe zur Erziehung“ nach §§ 27, 33 SGB VIII. § 27 SGB VIII gibt den Personensorgeberechtigten einen Anspruch auf entsprechende Hilfe zur Erziehung des Kindes, wenn eine dem Kindeswohl gerecht werdende Erziehung nicht gewährleistet ist und diese Hilfe für die Entwicklung des Kindes geeignet und notwendig ist. Das Gesetz hält eine ganze Reihe von möglichen Hilfeformen bereit. Als Hilfe kann etwa eine Erziehungsberatung gewährt werden, eine sozialpädagogische Familienhilfe oder eben auch eine Vollzeitpflege, § 33 SGB VIII. Eine solche Vollzeitpflege wird wohl bei den meisten Lesern des Paten vorliegen. Wurde eine solche Vollzeitpflege vom Jugendamt bewilligt, so hat dies mehrere rechtliche Folgen: So haben die Pflegeeltern gegenüber dem Jugendamt einen Anspruch auf Beratung und Unterstützung (§ 37 II SGB VIII). Daneben ist automatische Folge der Hilfebewilligung auch, dass der notwendige Unterhalt des Pflegekindes sicherzustellen ist. Der notwendige Unterhalt umfasst zum einen die materiellen Aufwendungen, zum anderen die Kosten der Erziehung. Geregelt ist dies in § 39 I SGB VIII. Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung wird ein monatliches pauschales Pflegegeld gewährt. Das Gesetz sieht vor, dass die zuständige Behörde, in der Regel das Landesjugendamt oder die Landesjugendbehörde, die pauschalen Pflegegeldsätze festsetzen kann. Soweit die Pflegegeldsätze entsprechend festgesetzt wurden, ist dies für die Jugendämter absolut verbindlich. Die Jugendämter können hiervon also nicht nach unten abweichen und nur ein geringeres Pflegegeld auszahlen. Ein Abweichen nach oben ist jedoch möglich, wenn die Besonderheiten des Einzelfalles dies geboten sein lassen, § 39 IV 2 SGB VIII. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn die Pflegefamilien besondere Erziehungsleistungen erbringen müssen, etwa bei behinderten oder auch traumatisierten Pflegekindern. Dann kann insbesondere in Frage kommen, dass eine erhöhte Erziehungspauschale gezahlt wird.

In der Praxis haben wir es jedoch immer wieder erlebt, dass einzelne Jugendämter mit den Pflegeeltern schriftliche Verträge abschließen, in welchen sich die Pflegeeltern bereit erklären, ein Pflegekind zu einem geringeren Betrag als von der Behörde festgelegt zu betreuen und zu erziehen. Nicht selten unterschreiben Pflegeeltern solche Verträge auch, da ihnen gar nicht bekannt ist, dass das eigentliche Pflegegeld höher liegt. Diese Praxis ist nach unserer Auffassung jedoch rechtswidrig, da die festgesetzten Pflegegeldsätze für die Jugendämter absolut verbindlich sind. Wir können daher Pflegegeld nur empfehlen, derartige Verträge nicht zu unterschreiben oder, falls dies aus Unkenntnis geschehen ist, hiergegen vorzugehen.

Häufig stellt sich hier jedoch folgende rechtliche Problematik: Obwohl das Pflegegeld einzig und alleine an die Pflegeeltern auszuzahlen ist, sind diese nach ganz überwiegender Rechtsprechung nicht Inhaber des Anspruches auf Pflegegeld. Das Bundesverwaltungsgericht (FamRZ 2002, 668 f.) verneint einen entsprechenden Anspruch der Pflegeeltern. Es stellt sich dabei auf den Standpunkt, die Zahlung von Pflegegeld hänge unmittelbar mit der Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege zusammen. Diese Hilfe steht jedoch nach dem Wortlaut des Gesetzes (§ 27 SGB VIII) nur dem Personensorgeberechtigten zu, also demjenigen, welcher die elterliche Personensorge für das Kind inne hat. Dies werden häufig die leiblichen Eltern sein, oder aber auch der Amtsvormund. Aus dieser Rechtsansicht folgt, dass Pflegeeltern nicht befugt sind, Widerspruch oder Klage einzulegen, wenn etwa Vollzeitpflege zu Unrecht gar nicht bewilligt wird, ein falsches Pflegegeld ausgezahlt wird usw. Dies gilt jedenfalls dann, wenn Pflegeeltern – wie meistens – nicht Inhaber des Personensorgerechtes sind. Diese Rechtslage ist natürlich in höchstem Maße unbefriedigend für Pflegeeltern. Zwar gibt es Stimmen in der juristischen Literatur und auch vereinzelte Gerichtsentscheidungen, welche dies anders sehen und den Pflegeeltern die Befugnis zur Klage zusprechen. Spätestens seit der Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung müssen Pflegeeltern jedoch damit rechnen, dass sie zunächst nicht das Recht haben, sich beispielsweise gegen falsch festgesetztes Pflegegeld zu wehren. Hier wäre sicherlich dringend ein Handeln des Gesetzgebers erforderlich.

Was aber können Pflegeeltern in derartigen Situationen tun? Wenn die Sorgerechtsinhaberin Widerspruch einlegt bzw. klagt, ist die Angelegenheit grundsätzlich problemlos. Denn dann wird zulässigerweise ein Verfahren in Gang gesetzt, in welchem die falsche Behördenentscheidung überprüft werden kann. Häufig wird dies jedoch, etwa wegen Interessenkollisionen, schwierig sein. Außerdem müssen die Pflegeeltern, selbst wenn dies geschieht, darauf hoffen, dass Widerspruch bzw. Klage mit der nötigen Sorgfalt und der erforderlichen Sachkenntnis durchgeführt wird. Sie können nur bedingt Einfluss hierauf nehmen. Die Pflegeeltern könnten auch versuchen, stellvertretend für den Sorgerechtsinhaber zu klagen. Erforderlich hierfür ist eine Vollmacht. Das Einklagen „fremder Rechte in eigenem Namen“ ist aber umstritten. Das VG Aachen billigt dies den Pflegeeltern zu (AZ: 2 K 1433/02, nicht rkr.) Andere Entscheidungen verneinen dies jedoch. Denkbar wäre ferner, eine Zivilklage aus dem Pflegevertrag ans Amts- bzw. Landgericht einzureichen, anstatt gegen den Bescheid der Behörde beim Verwaltungsgericht. Aber auch dieses Vorgehen kann juristische Probleme aufwerfen. Wir empfehlen daher dringend, dass Pflegeeltern sich darum bemühen, selbst Inhaber des Rechtes zu werden, Hilfe zur Erziehung zu beantragen. Denn dann haben die Pflegeeltern auch selbst das Recht, gegen falsche Behördenentscheidungen Widerspruch einzulegen und Klage einzureichen! Die oben dargestellte Zulässigkeitsproblematik existiert dann nicht. Das Recht, Hilfe zur Erziehung zu fordern, ist ein Teil des Sorgerechtes. Daher erhalten Pflegeeltern dieses Recht dann, wenn sie das gesamte Sorgerecht übertragen bekommen oder zumindest dieses Einzelrecht. In ersterem Fall spricht man von „Vormundschaft“, in letzterem Fall von „Pflegschaft“. Steht das elterliche Sorgerecht noch den leiblichen Eltern zu und sind diese mit einer Übertragung auf die Pflegeeltern einverstanden, dann ist eine solche freiwillige Sorgerechtsübertragung nach § 1630 III BGB relativ problemlos möglich und vom Gesetzgeber im übrigen auch erwünscht. Schwieriger ist es, leiblichen Eltern das Sorgerecht gegen deren Willen zu entziehen. Wenn diese sich weigern, von ihrem Sorgerecht zum Wohle des Kindes Gebrauch zu machen und etwa gegen falsche Behördenentscheidungen vorzugehen, dürfte jedoch regelmäßig ein Missbrauch des Sorgerechtes vorliegen. In diesem Falle ist ein Antrag auf (teilweisen) Sorgerechtsentzug aussichtsreich. Dies gilt auch, wenn eine Amtsvormundschaft besteht. Gegenüber einem Amtsvormund sind Pflegeeltern als Einzelpersonen ohnehin bevorzugt. Hier wird auf den gesonderten Aufsatz zur Vormundschaft verwiesen.

Quelle: RA Steffen Siefert

Loading

Pflegegeld für Großeltern und andere Verwandte

Immer noch erlebt der Verfasser in seiner beruflichen Praxis, dass Verwandten, welche ein Kind in Pflege haben, das Pflegegeld verweigert wird. Die Problematik ist insbesondere bei Großeltern, die ihre Enkel pflegen, zu beobachten. Aber auch wenn ein Kind von Onkel, Tante, Bruder oder Schwester gepflegt wird, wird oft fälschlich das Pflegegeld verweigert. Weil bei Verwandtenpflege keine Pflegeerlaubnis erforderlich ist (§ 44 I Nr. 3 SGB VIII), werden solche Maßnahmen oft ohne Beteiligung des Jugendamtes begonnen. Werden dann später Anträge auf Einrichtung einer Vollzeitpflege, § 33 SGB VIII, mit der Folge einer Pflegegeldzahlung gestellt, so werden diese Anträge nicht selten von den Jugendämtern zurückgewiesen. Dabei ist als Begründung immer noch zu lesen, eine Pflegegeldzahlung komme nicht in Betracht, da die Großeltern mit dem Kind in gerader Linie verwandt seien und damit unterhaltsverpflichtet. Bereits früher hat die Rechtsprechung gegen diese Verwaltungspraxis vielfältige Argumente geliefert. Seit der Neuregelung des SGB VIII durch das Kick ist diese Argumentation jedoch schlichtweg falsch und rechtswidrig. Der Gesetzgeber hat hier einen neuen Absatz 2 a in § 27 SGB VIII eingeführt und klargestellt, dass das Verwandtschaftsverhältnis kein Hinderungsgrund für eine Hilfegewährung ist. Die Vorschrift des § 27 Abs. 2 a lautet:

„Ist eine Erziehung des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses erforderlich, so entfällt der Anspruch Hilfe zur Erziehung nicht dadurch, dass eine andere unterhaltspflichtige Person bereit ist, diese Aufnahme zu übernehmen; die Gewährung von Hilfe zur Erziehung setzt in diesem Fall voraus, dass diese Person bereit und geeignet ist, den Hilfebedarf in Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach Maßgaben der §§ 36 und 37 zu decken“.

Damit hat der Gesetzgeber – bereits seit dem 01.10.2005 – klargestellt, dass der Hilfeanspruch nicht alleine deshalb versagt werden kann, weil die Pflegeeltern mit dem Kind verwandt sind. Diese müssen lediglich – wie alle Pflegeeltern – zur Pflege geeignet sein und ferner mit dem Jugendamt im Rahmen der Hilfeplanung zusammenarbeiten.

Daher ist Verwandten, insbesondere Großeltern, welchen derzeit kein Pflegegeld gewährt wird, zu raten, hier einen schriftlichen Antrag auf Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege zu stellen. Sollte ein Antrag abgelehnt worden sein, so sollte hiergegen Widerspruch eingelegt werden. Zu beachten ist dabei, dass ein Widerspruch gegen einen Bescheid innerhalb der Frist eines Monats eingereicht werden muss. Wird das Pflegegeld auch nach dem Widerspruch nicht gewährt, so erhalten die Antragsteller einen sogenannten Widerspruchsbescheid. Hiergegen kann dann Klage zum Verwaltungsgericht eingelegt werden. Auch hierbei gilt wieder die Frist von einem Monat.

Die neueste Kommentarliteratur führt insoweit etwa auch ausdrücklich aus (Wiesner, 3. Aufl., § 27 Rn 26 d):

„Dass der im Rahmen des Unterhaltes von Großeltern geschuldete Betreuungsbedarf den erzieherischen Bedarf nicht abdeckt, ist nunmehr explizit geregelt. Damit wird den gegen die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zur Verwandtenpflege bestehenden fachlichen und rechtlichen Bedenken Rechnung getragen. Das Bundesverwaltungsgericht hat bislang einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege durch Großeltern und damit auch auf Leistungen zum Unterhalt gem. § 39 nur dann als gegeben erachtet, wenn die Großeltern die Betreuung ihres Enkelkindes nicht in Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht leisten und zur unentgeltlichen Pflege nicht bereit sind. Diese Rechtsprechung widerspricht Sinn und Zweck der §§ 27, 33 und ist mit der Systematik des SGB VIII nicht vereinbar“.

Gerade diese Rechtsprechung ist jedoch nach der Neuregelung durch den Gesetzgeber nicht mehr einschlägig und nicht mehr anwendbar.

Neben der Problematik, dass Pflegeeltern gar kein Pflegegeld gewährt wird, häuft sich auch die Problematik, dass dieses pauschal um eine erhebliche Summe gekürzt wird. Grundsätzlich ist zu sagen, dass eine solche Kürzung in Frage kommen kann. Denn nach § 39 IV 4 SGB VIII kann der monatliche Pauschalbetrag angemessen gekürzt werden, wenn die Pflegeperson unterhaltsverpflichtet ist. Eine pauschale Kürzung ist jedoch rechtswidrig. Dies wurde kürzlich etwa vom Verwaltungsgericht Arnsberg (Urteil vom 30.01.2007, 11 K 2207/06) entschieden. Im entschiedenen Fall hatte ein Jugendamt Großeltern das Pflegegeld pauschal um 20 % gekürzt. Das Verwaltungsgericht führt in der Entscheidung deutlich aus:

„Indessen ist der Beklagte (…) zu Unrecht davon ausgegangen, dass er die damit der Sache nach verfügte Pflegegeldkürzung auf der Grundlage einer pauschalen Regelung vornehmen durfte. Dies ist indessen nicht der Fall. Nach dem Sinn und Zweck der in § 39 Abs. 4 Satz 4 SGB VIII getroffenen Kürzungsregelung hätte in die vom Beklagten insoweit getroffene Ermessensentscheidung das Ergebnis einer – auch an der finanziellen Situation der Pflegeeltern orientierten Einzelfallprüfung einfließen müssen.“

Nach der Auffassung des Verwaltungsgerichtes kommt eine Pflegegeldkürzung zwar grundsätzlich in Betracht, wenn eine Unterhaltsverpflichtung besteht. Das Jugendamt kann jedoch nicht einfach pauschal das Pflegegeld kürzen. Vielmehr „hat das Jugendamt die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Pflegeperson im Rahmen des dann eröffneten Ermessens zu berücksichtigen.“

Mit anderen Worten: Zwingend notwendig ist eine Einzelfallbezogene Klärung der Leistungsfähigkeit der Großeltern. Das Verwaltungsgericht führt insoweit aus:

„Über die Frage, ob eine Pflegegeldkürzung angemessen im Sinne der genannten Norm ist, kann nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles entschieden werden (so ausdrücklich auch die Gesetzesbegründung in BTDRS. 15/3676 vom 06.09.2004). Bei dieser Einzelfallentscheidung ist die – aktuelle – Leistungsfähigkeit der Großeltern ebenso von Bedeutung wie die Frage, ob das Pflegekind aufgrund bestimmter Umstände einen erhöhten Erziehungs- und Betreuungsaufwand verursacht“.

Nach dieser Entscheidung käme demnach eine Kürzung also auch dann nicht in Betracht, wenn das Pflegekind einen überdurchschnittlichen Erziehungs- und Betreuungsaufwand einfordert.

Daher wird empfohlen, dass betroffene Pflegeeltern sich gegen pauschalierte Summen des Pflegegeldes, bei welchen diese Umstände nicht geprüft wurden, mit Widerspruch bzw. Klage zur Wehr setzen.

Quelle: RA Steffen Siefert

Loading

Neue Rechtsprechung zur Durchsetzung von Pflegegeld – insbesondere bei Verwandtenpflege

Gerade, wenn Pflegepersonen mit dem Pflegekind verwandt sind, kommt es in der Praxis immer noch zu Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des Pflegegeldes. Dies betrifft vornehmlich Fälle, in welchem die Pflegeeltern oder ein Pflegeelternteil mit dem Kind in gerader Linie verwandt sind, also meistens Anträge auf Pflegegeld einer Großmutter oder eines Großvaters. Aber auch in anderen Verwandtschaftsbeziehungen (etwa Pflege durch Onkel, Tante, Geschwister usw.) erlebt der Unterzeichner hier immer wieder Probleme.

Die häufigsten Gegenargumente von Jugendämtern:
Nicht selten wird von Seiten der Jugendämter argumentiert, die sorgeberechtigten Eltern hätten ihr Kind zwar in die Obhut dieser Verwandten geben können. Hieran sei jedoch das Jugendamt nicht beteiligt gewesen, so dass auch ein Pflegegeld nicht zu zahlen wäre. Immer wieder erlebt der Unterzeichner auch, dass von Seiten der Jugendämter argumentiert wird, ein Pflegegeld könne nicht bezahlt werden, da er in der Pflegefamilie kein Hilfebedarf bestünde, das Kind entwickele sich doch dort gut. Daneben wird oft argumentiert, bei der – oft privat initiierten – Verbringung des Kindes in eine Verwandtenpflegestelle handele es sich um ein rein „familieninternes Agreement“. Diese Argumente laufen letztlich darauf hinaus, dass von Seiten der Jugendämter die Notwendigkeit der Einrichtung einer Vollzeitpflege infrage gestellt wird. Mitunter versuchen Jugendämter die Anträge auf Pflegegeld auch mit dem Argument abzuwehren, dass die ohne Vermittlung des Jugendamtes installierten Pflegeeltern nicht geeignet im Sinne des Gesetzes wären.

Neue Verwaltungsgerichtsentscheidungen für Pflegeeltern:
Der Unterzeichner konnte hier für Pflegeeltern Pflegegeld mehrfach erfolgreich durchsetzen. Beispielhaft werden hier zwei jüngere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen auszugsweise zitiert, in welchen auch auf die oben zusammen gefassten Argumente eingegangen wird.

Im Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 08.09.2011 (Aktenzeichen: 3 A 5/11) heißt es etwa insoweit (Hervorhebungen jeweils durch den Verfasser):

„Die Kläger haben einen Anspruch auf die Gewährung von Hilfe zur Erziehung und Vollzeitpflege nach §§ 27 I, 33, 39 SGB VIII ab 17.09.2010 (…). Der erzieherische Bedarf entfällt hier auch nicht wegen der Stellung der Kläger als Vormünder. Die Betreuung von Kindern, bei denen ein Erziehungsausfall auf Seiten der Eltern besteht, kann auch ohne öffentliche Jugendhilfe geleistet werden. Dafür kommen beispielsweise Verwandte, Verschwägerte, Vormünder und Pfleger in Betracht, welche nach § 44 I Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB VIII nicht einmal eine Erlaubnis zur Vollzeitpflege benötigen. Ein Vormund kann eine jugendhilfeunabhängige Betreuung selbst im Rahmen seiner Personensorge als Vormund erbringen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für die Frage, ob ein Vormund ein Anspruch auf Leistungen nach § 39 SGB VIII hat, entscheidend, ob dieser (weiterhin) zu einer jugendhilfeunabhängigen Betreuung bereit ist, oder, etwa durch einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung zum Ausdruck bringt, die Betreuung nunmehr nur noch als Vollzeitpflege in seiner Familie als Pflegefamilie zu erbringen (BVerfG, Urteil vom 15.12.1995 – 5 C 2.94 – BVerfGE 100, 178; Urteil vom 04.09.1997 – 5 C 11.96FEVS 48, 289; so auch OVG NW, Urteil vom 06.09.2004 – 12 A 3625/03 – juris; OVG Bremen, Urteil vom 16.11.2005 – 2 A 111/05 – 2 A 111/05 juris; Sächs. OVG, Beschluss vom 28.05.2009 – 1 A 54/08 – NVwZ-RR 2010, 584). Der erzieherische Bedarf kann also auch bei einer von dem Vormund bzw. den Großeltern tatsächlich geleisteten Betreuung nicht als gedeckt angesehen werden, wenn der Vormund bzw. die Großeltern durch einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung deutlich gemacht haben, dass sie zu einer unentgeltlichen Pflege nicht (mehr) bereit sind. (…)

Die Kläger haben mit dem Antrag auf Hilfe zur Erziehung vom 17.09.2010 zum Ausdruck gebracht, zu einer unentgeltlichen Pflege und Erziehung (des Kindes) nicht mehr bereit zu sein.
Damit war der erzieherische Bedarf im Sinne von § 27 Abs. 1 SGB VIII trotz der tatsächlich fortdauernden Betreuung nicht mehr gedeckt. Im Hinblick auf die Ausgestaltung der Vormundschaftsregelungen ist nicht zu verlangen, dass die Kläger hätten ankündigen müssen, das Kind selbst keinesfalls mehr unentgeltlich betreuen zu wollen. Ein solcher, in vielen Fällen nur zur Erlangung von Zahlungen des Jugendamtes aufgebauter Druck läge nicht im Interesse des Kindes. Die Ernsthaftigkeit der Erklärung wäre schwer zu überprüfen. Die Kläger haben zwar nicht die Aufgabe der Betreuung bei ausbleibender Zahlung von Pflegegeld in Aussicht gestellt, aber doch hinreichend deutlich gemacht, dass sie zu einer unentgeltlichen Betreuung nicht bereit sind und den Hilfefall in die Hände des Jugendamtes legen. Das nach der Entwicklung des Falles eine andere Maßnahme als die Unterbringung (des Kindes) in ihrer Familie nicht in Betracht kommt, darf ihnen bei Verfolgung ihres Anspruchs auf Hilfe zur Erziehung nicht zum Nachteil gereichen. (…).

Während eine Voraussetzung nach der Bundesverwaltungsgerichts-rechtsprechung – die fehlende Unterhaltspflicht bzw. bestehende Pflicht zur unentgeltlichen Betreuung – durch § 27 Abs. 2a SGB VIII obsolet geworden ist, bleibt die andere Voraussetzung – fehlende Bereitschaft zur unentgeltlichen Betreuung weiterhin zu fordern. Davon ist hier – wie gezeigt – auszugehen. Die Kläger müssen auch nicht darlegen, finanziell zu einer Betreuung nicht in der Lage zu sein. Leistungsauslösender Tatbestand für die Annexleistung der Sicherstellung des notwendigen Unterhalts gemäß § 39 SGB VIII ist allein die Gewährung von Hilfe zur Erziehung nach §§ 32 – 35 SGB VIII bzw. von Eingliederungshilfe in Einrichtung nach § 35a Abs. 2 Nr. 2 – 4 SGB VIII. Eine materielle Bedürftigkeit der Anspruchsberechtigten oder des Kindes ist nicht erforderlich (Wiesner, SGB VIII, Kommentar, 4. Aufl., § 39 Rdnr. 10). Die Leistungen werden nach § 91 Abs. 5 SGB VIII unabhängig von Einkommen und Vermögen gewährt. Der Nachrang der Jugendhilfe wird durch Kostenbeiträge nach §§ 91ff. SGB VIII gesichert, wobei zu den Kosten der Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII nur die betroffenen Kinder und Jugendlichen selbst heranzuziehen sind (§ 91 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII).

Die klägerische Familie ist eine „andere Familie“ im Sinne des § 33 Satz 1 SGB VIII. Die Pflegefamilie ist auch bei einer Verwandtenpflege bzw. einem Vormund keine neue oder alternative „Herkunftsfamilie“, sondern immer eine „andere Familie“. Die Herkunftsfamilie ist die Familie, aus der das Kind ursprünglich kommt (BVerfG, Urteil vom 15.12.1995 – 5 C 2.94 – aaO). Die Übernahme der Pflege und Erziehung durch einen Verwandten lässt den Bedarf an Erziehung in der Herkunftsfamilie unberührt.

Ein erzieherisches Defizit in der Pflegefamilie ist für die Hilfe nach §§ 27 Abs. 1, 33, 39 SGB VII nicht erforderlich (BVerfG, Urteil vom 04.09.1997 – 5 C 11.97 – aaO; Sächs. OVG, Beschluss vom 28.05.2009 – 1 A 54/08). Auch die Kläger können nicht erst Hilfe zur Erziehung und Vollzeitpflege verlangen, wenn sie ihrerseits das Kind in eine weitere Familie geben müssten.

Dass der Träger der Jugendhilfe im vorliegenden Fall seine Steuerungsverantwortung im Sinne des § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nicht durch eine Entscheidung zur Aufnahme in die Pflegefamilie nach Maßgabe eines Hilfeplans wahrnehmen konnte, ist kein Hindernis für eine Bewilligung zur Hilfe zur Erziehung (…) Entgegen der Wertung der Beklagten wird die Hilfe zur Erziehung hier nicht zu einer bloßen wirtschaftlichen Hilfe – das Jugendamt nicht zu einer „Zahlstelle“ degradiert. Der Jugendhilfeträger kann weiterhin über die Art und Ausgestaltung der Hilfe entscheiden, den Jugendhilfeplan pädagogisch beeinflussen und beratend tätig werden, worauf die Kläger im Erörterungstermin ausdrücklich Wert gelegt haben. Das Bundesverwaltungsgericht weist zu entsprechenden Bedenken von Jugendämtern darauf hin, der Gesetzgeber habe nun einmal die Leistungen zum Unterhalt nach § 39 SGB VIII als Bestandteil mit großem Gewicht zur Sicherstellung der Pflege ausgestaltet (BVerfG, Urteil vom 15.12.1995, aaO).“

Das Verwaltungsgericht Gießen hat in einem Urteil vom 14.09.2011 (Aktenzeichen: 2 K 5592/10.GI) ebenfalls einer Großmutter und Pflegemutter das Pflegegeld zugesprochen. Zu dem Vorwurf des Jugendamtes, diese sei angeblich nicht im jugendhilferechtlichen Sinne geeignet, führt das Gericht aus:

„Maßgeblicher Angriffspunkt Beklagtenseite ist hierbei die Geeignetheit der Klägerin in diesem Sinne, wobei entscheidend darauf abgestellt wird, dass die Klägerin in der Vergangenheit im Rahmen der für die Töchter erhaltenen Hilfe zur Erziehung gezeigt habe, dass sie zur Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht bereit oder nicht in der Lage sei. Wegen dieser fehlenden Kooperationsbereitschaft geht der Beklagte von der Ungeeignetheit der Klägerin als Vollzeitpflegestelle aus. Diese Einschätzung, die das Ergebnis des kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses darstellt und auch nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist aufgrund des dem Jugendhilfeträger zustehenden Beurteilungsspielraumes (…) teilt das Gericht nicht. Ganz entscheidendes Kriterium für die Ablehnung des Antrags durch den Beklagten ist die angenommene fehlende Kooperationsbereitschaft der Klägerin mit dem örtlich zuständigen Träger der Jugendhilfe. Diese Einschätzung basiert ausschließlich auf den Erfahrungen, die aus dem Zeitraum 2004 bis 2008 stammen und den in dieser Zeit erbrachten Hilfe zur Erziehung bezüglich insbesondere der Tochter X, aber auch der Tochter Y erbracht wurden. In dieser Zeit – nachdem die Tochter X, die Kindesmutter von Z erlittenen Missbrauch durch einen Nachbarn – war das Familiengefüge der Klägerin gänzlich durcheinander geraten. Betroffen von dieser Situation war nicht nur X selbst, sondern auch ihre 4 Jahre jüngere Schwester Y, die sich nach Angaben der Klägerseite schon immer sehr eng mit ihrer älteren Schwester verbunden fühlte, die Klägerin als Mutter der Mädchen und der Vater, der sich in dieser Zeit zur Trennung von der Familie entschloss. Diese Extremsituation verschärfte sich auch noch durch die frühe Schwangerschaft von X im Jahre 2005, die zur heftigen Auseinandersetzung der Tochter und auch ihrer Schwester mit der Mutter führte. Dass die Klägerin in diesen Jahren nicht immer das von dem Beklagten erwartete einsichtige und stets kooperative Verhalten zeigte, lässt sich den Ausführungen der Beklagtenseite und dem Auszug aus dem diesbezüglichen Akten (Handakte) entnehmen, führt aber bei gerichtlicher Überprüfung nicht zu der Einschätzung, dass hieraus die Schlussfolgerung einer grundsätzlichen Unfähigkeit oder fehlenden Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Träger Jugendhilfe und durch die Klägerin geschlossen werden kann. Es ist für das Gericht nach dem Gesamtvortrag beider Parteien sehr gut nachvollziehbar, dass die damaligen Umstände (aus den Jahren 2004 bis 2008) für beide Seiten schwierig und aufreibend gewesen sind. Die Klägerin, die sich seinerzeit auch der Unterstützung der Organisation Wildwasser bediente, geriet offenbar bisweilen in kaum auflösbare Konflikte, welche Hilfen nun die am besten geeigneten seien. Dass sie sich dem Beklagten gegenüber in dieser Extremsituation nicht als besonders kooperativ darstellte, lässt jedoch den von der Beklagtenseite gezogenen Schluss auf die aktuelle Situation nicht zu, da hierbei in keiner Weise dargelegt wurde, aufgrund welchen allgemein gültigen Bewertungsmaßstabs diese Übertragung auf die Betreuung des Enkels erfolgt ist.

Es ist in keiner Weise nachvollziehbar, inwiefern die Klägerin, die seit dem Jahr 2008 konstant und auch davor schon bei Bedarf sporadisch die Betreuung ihres Enkelkindes in offenbar beanstandungsfreier Weise wahrnahm und weiter wahrzunehmen bereit ist, und die das Gespräch und die Zusammenarbeit mit Kindergarteneinrichtungen, Therapeuten und Jugendamt sucht, für diesen Zeitraum und auch für die Zukunft als ungeeignete Pflegeperson qualifiziert wird. Es handelt sich hier um zwei voneinander getrennte Lebenssituationen und Lebensabschnitte, die von der Beklagtenseite in nicht nachvollziehbarer Weise als ein und derselbe Lebenssachverhalt behandelt und dargestellt werden. Aus einem – bisweilen sicherlich chaotischem Verhalten, das durch eine dramatische Situation in der Familie durch den erlittenen Kindsmissbrauch der Tochter X hervorgerufen wurde – auf künftig ähnliches Verhalten der Klägerin in heute gänzlich veränderten Lebensumständen zu schließen, verkennt eben diesen Umstand der eingetretenen Veränderungen, bzw. der Verschiedenheit der Lebenssachverhalte.“

Quelle: RA Steffen Siefert

Loading

Erhöhtes Pflegegeld für Pflegeeltern

Erhöhtes Pflegegeld für Pflegeeltern – Voraussetzungen und Durchsetzbarkeit


Gesetzlich ist vorgesehen, dass Pflegeeltern für die Betreuung eines Kindes in Vollzeitpflege einen monatlichen Pauschalbetrag, das sog. Pflegegeld, erhalten. Dieses spaltet sich auf in die materiellen Kosten und in einen Erziehungsanteil. Der Pauschalbetrag soll, unabhängig von den tatsächlich anfallenden Kosten, sämtliche entstehenden Kosten abdecken. Dieses pauschalierte Pflegegeld ist in aller Regel vom zuständigen Familienministerium festgesetzt (§ 39 Abs. 5 SGB VIII). Von dieser Festsetzung darf nach unten nicht abgewichen werden, es darf also nicht nur ein geringeres Pflegegeld ausgezahlt werden. Erlaubt ist hingegen die Bewilligung eines höheren Pflegegeldes. Gegebenenfalls, insbesondere bei besonderen Erziehungsanstrengungen und ähnlichen Gründen ist eine Pflegegelderhöhung sogar geboten. Dies ist auch im Gesetz so vorgesehen. Denn nach § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII soll abweichend vom monatlichen Pauschalbetrag ein höheres Pflegegeld gezahlt werden, wenn dies „nach der Besonderheit des Einzelfalles (…) geboten“ ist. Viele Jugendämter gewähren Pflegeeltern hier mitunter auch erhöhtes Pflegegeld. Oftmals wird dies jedoch auch versagt, obwohl ein Anspruch naheliegt. Wann genau ein Anspruch besteht, ist umstritten. In der juristischen Literatur (Wiesner, SGB VIII, Kommentar, § 39 Rdnr. 34) heißt es etwa hierzu:

„Ein solcher Einzelfall ist insbesondere anzunehmen, wenn etwa aus gesundheitlichen Gründen ein Mehrbedarf besteht und/oder die Anforderungen an Betreuung und Erziehung besonders hoch sind (z.B. besondere Belastungen oder erhöhte Sorgfaltspflicht bei HIV-infizierten Pflegekindern oder Kindern mit besonderen Schädigungen, z.B. durch sexuellen Missbrauch etc). Maßgeblich ist der Bedarf des Kindes oder Jugendlichen im Einzelfall“

Leider gibt es nur wenige Gerichtsentscheidungen, welche die Voraussetzungen klären, wann Pflegeeltern ein erhöhtes Pflegegeld zusteht. Zum Teil liegt dies sicher daran, dass Pflegeeltern klagebefugt nur dann sind, wenn sie Vormund sind oder ihnen mindestens das Recht zusteht, Hilfen zur Erziehung zu beantragen. Ist dies jedoch der Fall, kann ein erhöhtes Pflegegeld notfalls im Klagewege durchgesetzt werden.
Es gibt durchaus einige Entscheidungen, an denen Pflegeeltern sich orientieren können. Der Unterzeichner hat für eine Pflegefamilie etwa die Bewilligung eines doppelten Erziehungsanteiles im Pflegegeld vor dem Verwaltungsgericht Aachen durchgesetzt, nachdem das Jugendamt die Erhöhung zunächst abgelehnt hat.
Das Verwaltungsgericht Aachen führt in seinem Urteil vom 11.11.2008 (2 K 558/06) aus:

„Wird Hilfe nach den §§ 32 ff. SGB VIII gewährt, so ist auch der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses sicherzustellen (§ 39 I 1 SGB VIII), der auch die Kosten der Erziehung umfasst (§ 39 I 2 SGB VIII). Dies geschieht durch Bewilligung des sog. Pflegegeldes (…). Die Pauschalbeträge setzen sich aus einer materiellen Komponente, mit der der Lebensunterhalt des Kindes bzw. des Jugendlichen gesichert werden soll, und den Kosten der Erziehung, also eines Anerkennungsbetrags für die erzieherische Tätigkeit der Pflegeeltern, zusammen. Mit diesem Pauschalbetrag sind somit die üblicherweise mit der Erziehung von Kindern, die nicht in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen und dort erzogen werden können, verbundenen Belastungen abgegolten. Dies schließt nicht aus, dass in besonders gelagerten Einzelfällen mit einem besonderen Erziehungsbedarf eine Erhöhung dieser Komponenten des Pauschalbetrages verlangt werden kann.“
Zunächst folgt die Kammer der Auffassung des Bayerischen VGH, vgl. Urteil vom 10.11.2005 – 12 BV 04.1638- Juris, dass die Zahlung eines erhöhten Pflegegeldes nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil das Kind oder der Jugendhilfe hier nicht in einer Pflegestelle im Sinne des § 33 Satz 2 SGB VIII betreut wird, die die fachlichen Anforderungen an eine sozialpädagogische Pflegestelle erfüllt. Eine entsprechende rechtliche Voraussetzung, dass die Anerkennung eines abweichenden besonderen Erziehungsbedarfs nur in solchen Pflegefamilie in Betracht kommt, ergibt sich weder aus dem Wortlaut des § 39 IV 2 SGB VIII a.F. bzw. aus dem § 39 IV 3 SGB VIII, noch lässt er sich aus der Systematik des 4. Abschnitts des SGB VIII herleiten.
Nach der Rechtsprechung und allgemeiner Auffassung muss der besondere Bedarf des Einzelfalls (…) in der Person des Kindes oder Jugendlichen begründet sein (mwN). Bei der gesetzlichen Regelung, wann in Ansehung (der Besonderheit des Einzelfalls) abweichende Leistungen geboten ist, handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt und nicht etwa um eine nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle (vgl. § 114 VwGO) unterliegende Ermessensentscheidung. Dabei teilt das Gericht im Ausgangspunkt die Auffassung des Beklagten, dass Kinder, die vom Jugendamt in einer Pflegefamilie untergebracht werden, verglichen mit den Kindern, die in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen, meist einen erhöhten erzieherischen Bedarf haben. Dieser insoweit schon erhöhte erzieherische Bedarf ist somit der Regelfall, der mit dem regelmäßig zu zahlenden Pauschalbetrag abgedeckt ist. Es müssen deshalb weitere Besonderheiten im Einzelfall hinzutreten, um eine vom Pauschalbetrag abweichende Festsetzung des Pflegegeldes zu rechtfertigen. Ein derartiger Sonderbedarf, der zu einem anzuerkennenden erhöhten Pflege- und Betreuungsaufwand führen kann, ist zum Beispiel anzunehmen, wenn besonders schwere Erziehungsdefizite/Verhaltensauffälligkeiten vorliegen, schwere Erkrankungen, schwere Formen von Behinderungen, gleich ob kör-perlicher, geistiger oder seelischer Art bestehen, die gegenüber der „nor-malen Pflege und Erziehung“ besonders beanspruchende Anforderungen an Betreuung und Erziehung des Kindes oder Jugendlichen stellen (…).
Bei (dem Pflegekind) besteht ein solcher Bedarf an erzieherischer Hilfe, die die Verdoppelung des Erziehungsanteiles im pauschalierten Pflegegeld rechtfertigt. Nach Kenntnisnahme des umfangreichen familienpsychologischen Gutachten des psychologischen Sachverständigen K. vom 08.12.03 sowie den Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung ist für das Gericht offensichtlich, dass (das Pflegekind) von seiner Herkunftsfamilie von erheblichen größeren Defiziten geprägt war, wie sie ansonsten bei Pflegekindern zu registrieren sind. Dies zeigt sich sowohl in der erforderlichen Rund-um-die-Uhr-Bewachung des Kühlschranks, um bei den permanent drohenden Fressattacken das regelmäßige „Plündern“ des Kühlschranks zu verhindern, als auch das ausgeprägte delinquente Verhalten (des Pflegekindes), seien es jetzt die regelmäßigen Diebstähle, sei es die einmalige Friedhofsschändung, seien es die ständigen Regelverletzungen in der Schule, die immer wieder zu Rücksprachen von Pflegeeltern und Lehrer zwangen, sowie die Erfordernisse der hier besonders zeitraubenden nachschulischen Betreuung des Kindes. Es ist weiter zu berücksichtigen, dass die Pflegeeltern besondere Aufwendungen wegen der Zerstörungswut (des Pflegekindes) hatten. Nach den Darlegungen der Klägerin im Klageverfahren bezog sich diese sowohl auf Bekleidung als auch auf Wohninventar als auch auf Spielsachen (…).

Aufgrund der motorischen und emotionalen Defizite war von Kindergartenzeit an zahlreiche Therapieformen erforderlich, die auch sämtlich von der Pflegefamilie begleitend wahrgenommen wurden. Dies umfasste u.a. Spieltherapie, heilpädagogische Einzelförderung und heilpädagogische Gruppenförderung, es gab Gestalttherapie, Kinderphysiotherapie sowie eine verhaltenstechnische Interventionstherapie. Es ist die Häufung all dieser Aspekte, die hier zur Annahme eines besonders gelagerten Einzelfalls führt, der eine abweichende Festsetzung des Pflegegeldes (…) rechtfertigt (…).
Für das Gericht ist es deshalb erforderlich, dass der Erziehungsanteil im Pflegegeld angemessen erhöht wird. Diese Angemessenheit sieht die Kammer Genüge getan, wenn der Anteil verdoppelt wird (…).“

Soweit das VG Aachen. Eine vergleichbare Entscheidung hat auch das VG Lüneburg (JAmt 2009, 98 f.) getroffen. Das Verwaltungsgericht Lüneburg hielt in diesem Fall die Kürzung eines zuvor gewährten erhöhten Pflegegeldes für rechtswidrig, die alleine mit der Volljährigkeit des Pflegekindes begründet war. Es kann also durchaus lohnen, für die Gewährung eines erhöhten Pflegegeldes zu kämpfen bzw. sich gegen dessen Kürzung zu wehren.

Quelle: RA Steffen Siefert 

Loading

VG Aachen: Erleichterte Voraussetzungen zur Namensänderung von Pflegekindern

Mit Urteil vom 29.08.2006 (Aktenzeichen: 6 K 1114/06) hat das Verwaltungsgericht Aachen hervorgehoben, dass die Schwelle zur Namensänderung bei Pflegekindern niedriger anzusetzen ist, eine Namensänderung also erleichtert möglich sein soll. Das Gericht führt in dem Urteil aus:

„Gem. dem danach Anwendung findenden § 3 I NÄG darf der Familienname nur geändert werden, wenn ein wichtiger Grund die Änderung rechtfertigt. Ein wichtiger Grund rechtfertigt die Änderung des Familiennamens, wenn die Abwägung aller für und gegen die Namensänderung streitenden Umstände ein Übergewicht der für die Änderung sprechenden Interessen ergibt. Danach ist ein wichtiger Grund für eine Änderung des Familiennamens gegeben, wenn das schutzwürdige Interesse des Namensträgers an der Ablegung seines bisherigen Namens unter Führung des neuen Namens Vorrang hat vor dem schutzwürdigen Interesse der durch eine Namensänderung betroffenen Träger des bisherigen und des neuen Namens und vor den in den gesetzlichen Bestimmungen zum Ausdruck gekommenen Grundsätzen der Namensführung, zu denen auch die Ordnungsfunktion des Namens sowie sicherheitspolizeiliche Interessen an der Beibehaltung des bisherigen Namens gehören“. (..)

„Die Schwelle zur Namensänderung ist somit in Ermangelung durchschla-gender schutzwürdiger mütterlicher Belange bei Pflegekindern, die in ei-nem auf Dauer angelegten Pflegeverhältnis leben, niedriger anzusetzen als in den Stiefkinder- oder Scheidungshalbwaisenfällen. Der Widerspruch der Mutter gegen die beabsichtigte „Einbenennung“ in die Pflegefamilie ist hier in der Regel unerheblich. Es kommt auch nicht darauf an, dass das Kindeswohl die Namensänderung erforderlich macht. Der Familienname des Pflegekindes ist dem der Pflegeeltern vielmehr nach § 3 I NÄG bereits dann anzugleichen, wenn dies das Wohl des Kindes fördert und überwiegende Interessen an der Beibehaltung des Namens nicht entgegenstehen. (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.04.1987 – 7 C 120.86, juris und NJW 1988, 85). Dem entspricht Nr. 42 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (NamÄndVwV) vom 11.08.1980), (…) wonach dem Antrag eines Pflegekindes auf Änderung seines Familiennamens in den Familiennamen der Pflegeel-tern entsprochen werden kann, wenn die Namensänderung dem Wohle des Kindes förderlich ist, das Pflegeverhältnis auf Dauer besteht und eine Annahme als Kind nicht oder noch nicht in Frage kommt.“

Quelle: RA Steffen Siefert

Loading

Diese Webseite nutzt cookies. Wenn sie unser Angebot der Seite weiter nutzen, akzeptieren sie den Einsatz von cookies.  Mehr erfahren